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Kultur: Stadt der Angst

Wettbewerb (1): Spike Lee zeigt in „25th Hour“ ein Land, das wir nicht mehr verstehen

Was wird der schwarze Regisseur und Antirassismuskämpfer Spike Lee dazu sagen, dass weiße Männer plötzlich einen seiner Filme loben? Vielleicht dies: Ihr lobt mich ja nur, weil in diesem Film drei der vier Hauptrollen von weißen Männern gespielt werden. Ihr lobt mich, weil die Rassenfrage nur ganz am Rand vorkommt. Ihr lobt mich, weil dieser Film so verdammt wenig mit dem echten Spike Lee und seinem Leben als schwarzer Künstler zu tun hat.

Ist es so? Ja, genau so ist es.

Spätere Generationen werden Spike Lees Biographie als Lehrmaterial verwenden können, dazu, wie nützlich für einen Künstler die Distanz sein kann und wie schädlich die Nähe. Lee hat 1986 „She’s Gotta Have It“ gedreht, eine schwungvolle Sexkomödie, und 1989 „Do the Right Thing“. Darin ging es um den Rassenkampf in den USA. Spike Lee deutete an, ließ offen, war zweideutig. Mit anderen Worten: Er war ein Künstler. Und „Do the Right Thing“ war ein grandioser Film. Dann hörte Lee auf, Künstler zu sein. Er wurde Prophet. Er machte schwarzen Agitprop, viele Filme lang. „Malcolm X“ zum Beispiel. Das war furchtbar langweilig. Spike Lees Talent wurde zur verblassenden Legende.

Jetzt ist er wieder da. Jetzt hat er endlich wieder einen grandiosen Film gemacht. Vielleicht deshalb, weil er endlich einmal nichts beweisen möchte. Weil er endlich einmal ratlos ist. Weil er einfach eine Geschichte über eine Stadt erzählt.

„25th Hour“ erzählt wie damals „Do the Right Thing“ die Geschichte eines Tages, unterbrochen von Rückblenden. Es ist der Wendetag im Leben des Drogendealers Monty, gespielt von Edward Norton. Monty ist Anfang Dreißig, am nächsten Morgen muss er für sieben Jahre in den Knast. Bei einer Haussuchung haben sie in seinem Sofa etwas gefunden. Im Knast wird er wahrscheinlich zerbrechen. Er war noch nie dort, er war lange auf der höheren Schule, er führt ein bürgerliches Leben in einem guten Stadtteil. Er ist ein Edel-Dealer. Ein krimineller Dandy. Nicht unsympathisch. In der ersten Szene rettet er einem halb verbluteten Hund das Leben. Man ahnt schon, dass ihm eines Tages so gehen wird wie diesem Hund.

Seine Freundin: Eine 18-jährige Puertoricanerin. Vielleicht ist er ihre und sie seine große Liebe. Vielleicht war es sie, die ihn verpfiffen hat. Er weiß es nicht. Wie soll er sich von ihr verabschieden? Sein Vater: ein irischer Kneipenwirt, der rührend zu ihm hält. Seine besten Freunde: ein Broker und ein Englischlehrer. Sie stehen beide auf der Kippe. Der eine kämpft um seinen Job, der andere kämpft gegen seinen Trieb, der ihn unwiderstehlich zu einer 17-jährigen Schülerin zieht und somit in den Abgrund. Philip Seymour Hoffman, in Hollywood zur Zeit der führende Spezialist für sexuell auffällige Charaktere, spielt das wieder einmal furchterregend perfekt.

Nicht viel passiert an diesem Tag. Außer, dass ein paar Leute mit ihrem Leben den Bach runtergehen. „25th Hour“ vibriert wie ein cooles, dunkelblaues Jazzstück, getragen von einer Atmosphäre der allgegenwärtigen Bedrohung. Alle Personen laufen über sehr dünnes Eis. Man möchte in das Bild hineingreifen, sie am Arm packen und hinausziehen, in die Sicherheit. Die Kamera hat den kalten Forscherblick. Die Rückblenden sind nicht gekennzeichnet, sie liegen wie Findlinge im Fluß der Handlung.

Aber woraus besteht die Bedrohung? „25th Hour“ ist auch ein Porträt der Stadt New York, Spike Lees Stadt, wo das totale Glück und das totale Scheitern vielleicht wirklich näher beieinander liegen als an anderen Stellen des Planeten. Es ist aber das New York nach dem 11. September 2001: das erste Porträt des getroffenen, seiner selbst nicht mehr ganz so sicheren New York. Anspielungen auf den Anschlag durchziehen den Film, ohne sich aufdringlich in den Vordergrund zu spielen. Der Broker hat ein Apartment mit Blick auf Ground Zero. In einer Szene steht er mit dem Lehrer da, beide trinken Flaschenbier, sie schauen auf die kahlrasierte Stadtwunde, sie reden darüber, ob man hier wegziehen sollte und über ihren Freund, der sehr bald tot oder kaputt sein wird.

Es ist ein Film über die Angst. Sie hat keinen Namen.

Der Dealer steht vor dem Spiegel, im Klo. Und er rappt eine Liebeserklärung an New York, die indirekteste Liebeserklärung der Filmgeschichte. Fuck you! Ihr kotzt mich an, ihr Weißen, ihr Neger, Pakistanis und Itaker, Juden und Puertoricaner! Mein Vater kotzt mich an, meine Freunde, meine Geliebte, ich selber, alle. Es fügt sich zu einer Art Liebeserklärung. Nur Städte wie New York oder Berlin halten diese Art von Liebe aus.

Dann lässt er sich von seinem Freund, dem Broker, zusammenschlagen, damit er nicht mehr so geschniegelt aussieht, wenn er im Knast ankommt. Aber der Freund gerät aus den besten Absichten in einen Blutrausch. Alles gerät immer wieder außer Kontrolle in diesem Film, der als einer der ersten von einem Amerika handelt, das die Welt da draußen nicht mehr versteht, einem Land, das vorm Spiegel große Töne spuckt und sich im Dunkeln ratlos vorwärts tastet, Richtung Gewalt, ohne die leiseste Ahnung, was es hinter dem Vorhang erwartet.

Heute 16.30 Uhr (Cinemaxx 7), 22.30 Uhr (Berlinale-Palast), morgen 12 und 21 Uhr (Royal), 14.2., 23 Uhr (Royal)

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