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Das neue Whitney Museum in New York.

© Nic Lehoux/Whitney Museum

Whitney Museum eröffnet in New York: Stahlkoloss im Fleischdistrikt

Im hippen New Yorker Meatpacking-District hat das Whitney Museum eröffnet. Der industriell anmutende Neubau von Renzo Piano könnte zum neuen Lieblingstreffpunkt in Manhatten werden.

Veränderung ist gut, hat sich Adam Weinberg zum Motto erkoren. Das musste er auch, über die sieben Jahre hinweg, da die Entscheidung feststand, das von ihm geleitete Whitney Museum of American Art aus seinem mehr berühmten als geliebten Haus in Uptown New York etliche Meilen nach Süden in einen Neubau zu verlagern, in den angesagten Fleischverarbeiterbezirk in Sichtweite des Hudson-Flusses. Die Operation ist gelungen, das steht bereits vor der Öffnung fürs Publikum am 1. Mai fest. Die Lobeshymnen der Vorab-Besichtiger sowohl auf den Neubau von der Hand des italienischen Meisterarchitekten Renzo Piano als auch auf die Neupräsentation der Sammlung amerikanischer Kunst seit 1900 sind zu einem einstimmigen Chor angeschwollen.

Nun steht er also fertig da, der sehr wie ein Industriebau anmutende Entwurf des Genuesen Renzo Piano, der mit mehr als zwei Dutzend Museumsbauten unterschiedlichster Art zum unbestrittenen Matador auf diesem Feld geworden ist. Am südlichen Ende der vor Jahren zum Spazierweg umgeformten ehemaligen Hochbahnstrecke Highline gelegen, die steil aufragende Hauptmasse des Gebäudes dem Hudson River und der davor verlaufenden vielspurigen Autopiste zukehrend, macht der Neubau unmissverständlich klar, dass das Whitney alles sein mag, nur kein Musentempel.

Neuer Lieblingstreffpunkt für New York

Da sendete der knapp ein halbes Jahrhundert alte Vorgänger des emigrierten Bauhaus-Meisters Marcel Breuer als Trutzburg eine andere Aussage aus. Dass Pianos technisch-industriell geformter Neubau mit seinen glatten Stahlfassaden jemals den Kultstatus des mit schwerem Stein umschlossenen Breuer-Baus erreichen wird, darf man bezweifeln. Dass er aber, zumal mit seiner voll verglasten Lobby samt durchgehend geöffnetem Café-Restaurant, und mit seinen gestaffelten Terrassen auf der ruhigeren Rückseite des Gebäudes, von den ausgehfreudigen New Yorkern zu einem Lieblingstreffpunkt gekürt werden wird, lässt sich unschwer voraussagen.

Ein Museum zu verpflanzen ist auch in Zeiten eines nun schon seit Jahrzehnten ungebrochenen Museumsbaubooms die Ausnahme. An- und Umbauten gibt es zuhauf, auch solche radikaler Art wie vor gut zehn Jahren beim Museum of Modern Art ebenfalls in New York, das kurzerhand sämtliche Erweiterungen des ursprünglichen Bauwerks abreißen und durch einen dann doch nicht so recht geglückten Neubau ersetzen ließ. Beim Whitney, diesem 1929 von der wohlhabenden, höchst emanzipierten Gertrude Vanderbilt Whitney ins Leben gerufenen Museum-plus-Künstleratelier, schied die Erweiterung des als Baudenkmal geadelten Gehäuses aus dem Jahr 1966 aus. Doch die Raumnot zwickte immer mehr. Nur winzige Ausschnitte der mächtig angeschwollenen, heute über 22 000 Katalognummern umfassenden Sammlung waren jeweils zu sehen.

Eine Erzählung in 22 Kapiteln

Das ist nunmehr gänzlich anders. Die 4600 Quadratmeter Ausstellungsfläche des gut 22 000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche messenden Bauwerks sind bis Ende September der Sammlung vorbehalten, und zwar in einer neuartigen, in 22 Kapitel gegliederten Erzählung. Die ist schlichtweg eine Offenbarung.

Weinberg trifft es mit seinem Wort von der „unbequemen Vielschichtigkeit der amerikanischen Kunst“ genau: Da passt eigentlich nichts zusammen. Da sind schließlich Künstler nicht nur aus 43 Staaten innerhalb, sondern auch aus mehreren Dutzend Ländern außerhalb der USA vertreten, Migranten und Emigranten, die schließlich US-Bürger wurden und in manchen Fällen nicht einmal das. Es bedurfte einer langen Diskussion innerhalb des Museums und seiner einflussreichen Trustees, bis die ursprüngliche Bedingung des gebürtigen Amerikaners fallen gelassen und der magnetischen Sogwirkung zumal New Yorks auf Künstler aller Himmelsrichtungen Rechnung getragen wurde. Weiß heute noch jemand, dass Willem de Kooning, dieser Großmeister des Abstrakten Expressionismus der Nachkriegszeit, dreieinhalb Jahrzehnte illegal in den USA lebte, ehe er, längst als Künstler gefeiert und von den Museen angekauft, 1962 schließlich Staatsbürger werden durfte?

Der melting pot ist in der Kunst Wirklichkeit geworden

In der Kunst ist der vielbeschworene melting pot Wirklichkeit geworden. Und damit ist auch die gerade vom Whitney jahrzehntelang behauptete Geradlinigkeit der amerikanischen Kunstentwicklung dahin. Vormals als herrschend behauptete Trends innerhalb dieser Entwicklung eines ganzen Jahrhunderts werden in der jetzigen Übersicht deutlich zurückgeschnitten: die zupackend realistische Malerei der Zwischenkriegszeit, die Abstraktion nach 1945, die fröhliche Oberflächlichkeit der Pop Art, um nur drei solcher Dominanten zu nennen.

Immerzu gab und gibt es Gegenstimmen, mögen sie auch vom Markt und von Ankaufskommissionen lange überhört worden sein. New York war nicht nur die Bühne der Erfolgreichen, von Edward Hopper bis Andy Warhol, sondern auch das Pflaster der Beladenen, von Jacob Lawrence bis Eva Hesse. Wobei angesichts von 350 Künstlern – aus einer Gesamtheit von rund 3000 –, die das begleitende Handbuch verzeichnet, auch jede andere Kombination von Namen gedacht werden kann.

Und nicht das geringste Verdienst der Sammlungsübersicht in sämtlichen vier Ausstellungsetagen von insgesamt sieben Stockwerken des Hauses ist es, die von einem entfesselten Kunstmarkt geradezu erzwungene Überbetonung der unmittelbaren Gegenwartskunst historisch zu relativieren: mit einem ganzen Jahrhundert von Kunst, in der so manches gezeigte Werk den Zauber einer Erstbegegnung auszulösen vermag.

Renzo Piano und das Gebäude der Freiheit

Weniger zauberhaft als handfest ist der Preis, den der Museumsumzug mitten ins Schickeriaviertel des Fleisch-Distrikts erfordert hat: Mit sage und schreibe 422 Millionen Dollar steht der Neubau zu Buche. Das erscheint denn doch recht heftig. Aber darüber richtet derzeit niemand, angesichts einer Kapitalkampagne, die nicht weniger als 760 Millionen Dollar in die Kassen gespült hat und noch genug Mittel für Neuerwerbungen und für den langfristigen Kapitalstock dieses dem Rechtsstatus nach privaten Museums übrig lässt.

Renzo Piano gab sich bei der Vorbesichtigung völlig unberührt von derart irdischen Kleinigkeiten und verkündete, Kunst handele von Freiheit, und sein Gebäude mache Freiheit sichtbar. Ja, wenn das nur so einfach wäre wie die Anlage einer Cafeteria auf Straßenniveau! In der Präsentation dieser grandiosen und jahrzehntelang wohl unterschätzten Sammlung wird deutlich, dass die Freiheit kompliziert ist. Und an mehr als einer historischen Bruchstelle – Zweiter Weltkrieg, McCarthy, Vietnam – etwas, das Künstler forderten und fordern mussten. Damit sich ihre Werke heute in einem eindrucksvollen Neubau wiederfinden können, zur Freude ihrer bewundernden Besucher.

New York, 99 Gansevoort St. (Chelsea), Eröffnung am 1. Mai. Handbuch 35 Dollar.

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