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Die Elbphilharmonie ist unter Klassik-Fans gefürchtet für die extreme Direktheit ihrer Raumakustik.

© Christian Charisius/dpa

Stille Zeit (Letzter Teil): Luft anhalten

Die Feiertage zwischen den Jahren mögen von Festen und Turbulenzen heimgesucht werden, man nennt sie trotzdem die stille Zeit. Bis Silvester erkunden wir Phänomene der Stille. Diesmal in der Klassik.

Und noch mal das Blech und noch mal die Pauke, volle Fahrt, volle Kraft. Folgen die Schlussakkorde, forte, fortissimo, Abschlag und Ende. Der Klang zittert nach, der Hall verfliegt, zwei, drei Sekunden lang bis unter die Decke, der Maestro verharrt mit erhobenen Händen. Gleich wird der Applaus losbrechen, donnernder Jubel. Aber noch bebt das Herz, noch hat sich keiner gefangen, noch halten alle den Atem an. Es herrscht Mucksmäuschenstille im Saal. Die Stille nach dem Schluss ist manchmal das Schönste an der Musik.

Wenn ein Konzert gelingt, wenn ein symphonischer oder kammermusikalischer Abend am Ende mehr ist als die Summe seiner Teile, dann kulminiert die Musik in dieser zittrigen Ruhe nach dem allerletzten Ton. Fünf, zehn Sekunden vielleicht, und das flüchtige Medium tönerner Gestalten zeigt Wirkung: die Ergriffenheit, das Moment der Transzendenz, vielleicht sogar der Katharsis, die jeder Kunst innewohnt. Die Ovationen danach sind nur ein hilfloser Reflex. Wehe, jetzt hustet jemand oder fängt zu früh an zu klatschen. Der kostbare, zerbrechliche Augenblick der Andacht, der Bangigkeit wäre zerstört.

Auskomponierte Stille bei Mahler

Manchmal ist die Stille auch auskomponiert, am Schluss von Mahlers Neunter zum Beispiel. Immer weniger Instrumente, immer weniger Intervalle, ein Ton nach dem anderen tritt ab, und die Musik kehrt dorthin zurück, woher sie kommt, ins Schweigen, ins Nichts, vielleicht in den Tod. Und das Nichts füllt den Raum. Vor ein paar Wochen in der Hamburger Elbphilharmonie konnte man hören, wie sehr die extreme Direktheit der Raumakustik auch die Mahler’sche Stille am Schluss der Neunten verändert.

„Zögernd, leise in des Dunkels nächtg’er Hülle/Sind wir hier“ – vertonte Schubert im „Ständchen“ Grillparzers Verse. Musik, das ist immer auch die Kunst des Aufschiebens, des Nachschwingens, des Verstummens, der Pause. Generalpausen machen oft mehr Effekt als die wuchtigsten Paukenschläge, bei Bruckner vor allem, oder auch in Beethovens „Egmont“-Ouvertüre. Der Tod des Helden? Die Bläser pianissimo und vorher schweigen alle.

Der Mensch braucht mal eine Pause

Egal, wie laut oder leise der Schluss ist : Ein gutes Konzert braucht die Leere danach. Aber kaum verlässt man die Philharmonie, zupft schon wieder einer Smetana auf der Mandoline. Liebe Straßenmusiker, ihr könnt uns gerne auf dem Hinweg behelligen, aber bitte nicht danach, wenn die Ohren für eine kleine Weile die Tonlosigkeit brauchen, unbedingt!

Etwas Pause braucht der Mensch. Er braucht die Zäsur, deshalb feiern wir Silvester. Dabei gibt es nicht mal eine millisekundenkurze Generalpause, wenn die Jahreszahl eine Ziffer weiter springt. Trotzdem füllen wir diesen Augenblick mit Feuerwerk und Knallerei. Zisch, bumm, peng, Pause vorbei! Die Musik hingegen vermittelt uns eine Ahnung davon, wie es sein könnte, wenn die Zeit tatsächlich einmal stillsteht.

In der Serie sind erschienen: „Stille Nacht“ und die Stille des Schnees (24.12.), die Stille in der Poesie (27.12.), Stillleben (28.12.), das autofreie Venedig (29.12., die Kunstpause (30.12.).

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