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Kultur: Stimmen aus der Hölle Frankfurter Paulskirche: zur Friedenspreisverleihung an Saul Friedländer

Einmal gibt es spontanen Applaus bei der Friedenspreisverleihung in der Frankfurter Paulskirche. Wolfgang Frühwald, Präsident der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, spricht in seiner Laudatio auf Saul Friedländer davon, dass die NSVernichtungsmaschinerie „das Urvertrauen in die moralische Kraft der Zivilisation zerstört“ habe und fügt hinzu: „Wer dies – wie die stereotype Formel lautet – nicht mehr hören kann, der hat es noch nie wirklich gehört; wer sich gar wohlfühlt im weltweit wachsenden Lager derer, welche die Tatsächlichkeit dieses Verbrechens gegen Rang und Würde des Menschseins leugnen, stimuliert die Lust auf Wiederholung.

Einmal gibt es spontanen Applaus bei der Friedenspreisverleihung in der Frankfurter Paulskirche. Wolfgang Frühwald, Präsident der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, spricht in seiner Laudatio auf Saul Friedländer davon, dass die NSVernichtungsmaschinerie „das Urvertrauen in die moralische Kraft der Zivilisation zerstört“ habe und fügt hinzu: „Wer dies – wie die stereotype Formel lautet – nicht mehr hören kann, der hat es noch nie wirklich gehört; wer sich gar wohlfühlt im weltweit wachsenden Lager derer, welche die Tatsächlichkeit dieses Verbrechens gegen Rang und Würde des Menschseins leugnen, stimuliert die Lust auf Wiederholung.“

Das sind deutliche Worte. Mag sein, dass Frühwald sie auch stellvertretend für Saul Friedländer gesprochen hat. Jener hatte in Interviews während der Buchmesse gesagt, keine Gegenrede zu Martin Walser halten zu wollen, wie mancherorts gemutmaßt worden war, auch an einer Polemik sei ihm nicht gelegen. Friedländer macht in der Paulskirche vielmehr genau das, was er in seinem zweibändigen Opus magnum „Das Dritte Reich und die Juden. 1933 –1945“ getan hat: Er gibt den Opfern des Holocausts eine Stimme. Er gibt ihnen ein Gedächtnis, einen Namen und eine Würde zurück, was ihnen in anderen Arbeiten über den Holocaust, gerade in den Untersuchungen allein der Tötungsmaschinerien der Nazis, nicht immer vergönnt ist.

Es ist nicht unbedingt eine Rede, die Friedländer hält, es ist mehr eine Dokumentation. Der Preisträger verliest Auszüge von mitunter noch unveröffentlichten Briefen, die Friedländers Familienangehörige und Freunde seit ihrer Vertreibung 1939 aus Prag bis zu ihrem Tod in den Vernichtungslagern geschrieben haben. Sie erzählen vor allem von der Odyssee der Eltern Friedländers durch Europa: von Prag nach Paris und in den unbesetzten Teil Frankreichs. Und sie erzählen von der vergeblichen Flucht von Frankreich in die Schweiz, der Überführung in ein französisches Konzentrationslager, der Deportation nach Auschwitz.

Die Flucht in die Schweiz scheiterte im September 1942 möglicherweise nur daran, dass die Friedländers ihren 10-jährigen Sohn vorher nach einer Taufe und mit neuer Identität in einem katholischen Internat untergebracht hatten. „Paare mit Kindern ließ man in dieser Woche ins Land; Personen ohne Kinder wies man zurück.“ Fast lapidar ist dieser Satz, mit dem Friedländer den Bericht eines Unteroffiziers der schweizerischen Grenzstation kommentiert. Doch liegt darin auch die andernorts von Friedländer gestellte und ihn vermutlich zeitlebens quälende Frage, ob seine Anwesenheit das Leben der Eltern hätte retten können.

Frühwald konstatiert in seiner klugen Laudatio, die Friedländers Entwurf eines „Tiefenmodells der Geschichte“ und damit eines neuen Zeit- und Erinnerungsbegriffs herausstreicht, dass sich der in Los Angeles lebende Historiker immer vor einer Emotionalisierung gehütet habe und er stattdessen die historischen Dokumente sprechen ließ. Nichts aber, auch keine fiktionalen Nachbearbeitungen, kann bewegender, erschütternder sein, als die Auszüge dieser Dokumente und Briefe, die auch davon künden, wie wenig die Opfer wussten. Sie bewegen, so Friedländer, „gerade wegen ihrer völligen Hilflosigkeit, ihrer Unschuld und der Einsamkeit ihrer Verzweiflung“.

Dem 75-jährigen Friedländer selbst ist diese Bewegung deutlich anzumerken. Seine Stimme wird brüchiger, als er zu seinem Schlusswort ansetzt, in dem er das vorher Vorgetragene kurz kommentiert und betont, es beim Hören dieser Opferstimmen nicht „mit einem ritualisierten oder institutionalisierten Gedenken“ zu tun haben.

Bei der Preisverleihung fällt auf, wie sich Frühwald und Friedländer in ihrem Blick auf die Zukunft unterscheiden. Frühwald sieht „Zeichen für den Willen zum Frieden unter Menschen und Religionen“ und erzählt die Geschichte des Erzbischofs von Paris, Kardinal Jean-Marie-Lustiger. Wie Friedländer jüdischer Herkunft, überlebte dieser in Frankreich als Katholik und blieb dem Katholizismus treu. Bei seiner Beerdigung wurde Lustiger eine Messe und ein Kaddisch gesprochen. Wenn das möglich sei, so Wolfgang Frühwald, könnte man das als Wendung „diesmal zum Guten, nicht zum Bösen“ betrachten. Friedländer klingt skeptischer am Schluss seines mit stehenden Ovationen bedachten Auftritts: „Die Stimmen der Menschen bewegen uns unabhängig von aller rationalen Argumentation, da sie den Glauben an die Existenz einer menschlichen Solidarität stets von neuem einer Zerreißprobe aussetzen und infrage stellen.“ Worte eines Zweifelnden.

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