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KUNST Stücke: Strahlende Sonnen

Einen stärkeren Gegensatz könnte es kaum geben als zwischen den Welten, die Nadav Kander und Robert Polidori in ihren großformatigen, farbsatten Bildern vergegenwärtigen, die sich nun in der Galerie Camera Work gegenüber stehen. „Auf Wiedersehen, Pripjat, 28.

Einen stärkeren Gegensatz könnte es kaum geben als zwischen den Welten, die Nadav Kander und Robert Polidori in ihren großformatigen, farbsatten Bildern vergegenwärtigen, die sich nun in der Galerie Camera Work gegenüber stehen. „Auf Wiedersehen, Pripjat, 28.04.1986“ hat jemand an die Tafel eines Klassenzimmers in der Schule geschrieben, die seit diesem Datum höchstens noch Diebe heimsuchten. Stühle und Tische liegen wild durcheinander, von den Wänden blättert der Putz und die einsame Grünpflanze vor dem optimistischen Wandbild im Flur mit strahlender Sonne und einer glücklich lächelnden jungen Frau ist längst ein Gerippe geworden. Im Jahr 2001 streifte der kanadische Fotograf Robert Polidori mit seiner Großformatkamera durch diese Schulräume, das Hospital von Pripjat und über das Reaktorgelände von Tschernobyl, um die Schrecken des Verfalls festzuhalten. In giftigen Farben schillert der Dreck auf den Zeichentischen, an denen 15 Jahre zuvor die Schüler vom Schrillen der Sirenen hochgeschreckt wurden. Niemand lebt mehr in der verstrahlten Zone, nur im Kontrollraum des noch in Betrieb befindlichen Reaktorblocks sitzt, als wäre nichts geschehen, das Personal vor den Kontrollgeräten.

Ein Reich des Lebens tat sich dagegen dem in Israel geborenen Nadav Kander auf, als er 2007 dem Lauf des Jangtsekiang von Chongqing nahe dem Drei-Schluchten-Staudamm bis nach Shanghai folgte. Geschickt positionierte er sich, meist in schräger Blickrichtung, auf der anderen Seite, um die gigantische Hochhauswelt gegenüber ins Bild zu setzen oder eine kühne Brückenkonstruktion zu studieren. Einmal liegen zwei marode Hausboote am Ufer. Familien sitzen beim Picknick nahe dem legendären Fluss, Angler und badende Männer stehen herum. Dann aber, vor Nanking, beleben Dutzende kleine Ausflugsboote, denen bunte Sonnenschirme den Farbtupfer aufsetzen, die breite Wasserfläche, aus deren Mitte eine Fontäne in den blassen Himmel schießt – eine Momentaufnahme wie von der Staffelei eines Impressionisten.

Das Kaufinteresse für die großen fotografischen Visionen vom Aufstieg Chinas scheint trotz der hohen Preise (6000-100 000 Euro) beträchtlich. Kanders Bilder sind wie gemacht, dem Glauben an das Wachstum einen frischen Impuls zu verleihen, auch wenn die neue Welt am Gelben Fluss durchweg in das neblige Licht eines realen Märchens getaucht ist und der Fotograf die abwartende Position eines Zaungasts bezogen hat. In die vermüllten, düsteren Innenräume in und um Tschernobyl möchten dagegen wohl weitaus weniger Sammler moderner Fotografie eintreten, zudem Polidoris Preise (um 20 000 Euro das Bild) das Kaufinteresse dämpfen dürften. Nicht die Katastrophe von Gestern, sondern das Glücksversprechen von morgen fasziniert den Betrachter (Kantstraße 149, beide bis 12. März).

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