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Streit um Theodor Eschenburg: Uni & Uniform

Die deutsche Politikwissenschaft streitet über die NS-Vergangenheit des Staatsrechtlers Theodor Eschenburg. Beim Kongress der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft kam es zum Eklat.

Der Gründungsmythos der deutschen Politikwissenschaft als „Demokratiewissenschaft“ gerät ins Wanken. In der Figur des Staatsrechtlers Theodor Eschenburg (1904 bis 1999) drängt sich die NS-Zeit schmerzlich ins Bewusstsein der Disziplin. Schon im Frühjahr 2011 hatte der Osnabrücker Politologe Rainer Eisfeld in einem Aufsatz dargelegt, dass Eschenburg – in der Nachkriegszeit der erste Lehrstuhlinhaber für Politikwissenschaft – 1938 administrativ an einem Arisierungsverfahren in der holzverarbeitenden Industrie beteiligt war. Zudem habe sich Eschenburg in seinen Lebenserinnerungen nur zögerlich zu seiner Mitgliedschaft in der Motor-SS bekannt.

Zum Eklat kam es jetzt in Tübingen, Eschenburgs langjähriger Wirkungsstätte, beim Kongress der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW). Dort wurde der Theodor- Eschenburg-Preis an den Berliner Politologen Claus Offe verliehen. Offe nahm den Preis an, distanzierte sich aber vehement von dessen Namensgeber. Nie habe sich Eschenburg „zu einer ernsthaften sozialwissenschaftlichen und/oder moralischen Beschäftigung“ mit seinem Handeln im Nationalsozialismus durchringen können oder wollen. Gleichzeitig habe er sich in publizistischen Lobpreisungen von Hans Globke, dem Kommentator der Nürnberger Rassegesetze und späteren Leiter des Kanzleramts unter Adenauer, ergangen.

Offe hält es für überfällig, die Verstrickung auch anderer Politikwissenschaftler aus der Gründergeneration in Unrecht und Verbrechen des NS-Staates aufzuarbeiten. In Tübingen wurde immerhin ein Anfang gemacht. Ein „Sonderplenum“ des Kongresses beschäftigte sich mit „Deutschen Nachkriegspolitologen in der nationalsozialistischen Diktatur“, darunter auch mit Eschenburg.

Doch Offe fragt auch, was den DVPW vor 12 Jahren bewogen hat, seinen Preis ausgerechnet nach Eschenburg zu benennen. Namen wie Eugen Kogon oder Ernst Fraenkel wären nahe liegender gewesen. Die neue Vorsitzende des Verbandes, Gabriele Abels (Uni Tübingen), stellt sich hinter die Entscheidung ihrer Vorgänger. Zwar sei Eschenburgs Verstrickung lange bekannt gewesen, doch habe man sie „nicht in ausreichender Weise reflektiert“. Auch nach dem Aufsatz von Rainer Eisfeld „wollten wir nicht vorschnell den Stab über ihn brechen“.

Stattdessen gab die DVPW bei der Greifswalder Politikwissenschaftlerin Hannah Bethke ein Gutachten in Auftrag, das sie jetzt in Tübingen vorstellte. Sie bestätigt die SS-Mitgliedschaft wie die Beteiligung am Arisierungsverfahren. Er müsse „im weitesten Sinne als Mitläufer des NS-Regimes“ betrachtet werden. Bethke empfiehlt unmissverständlich „die Abschaffung des Preisnamens“. Doch die DVPW reagiert weiter abwartend. In den nächsten Monaten werde man das Gutachten in den Gremien besprechen. „Wir prüfen ergebnisoffen“, sagt Abels.

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