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Nancy Nkusi als Marie Sachs in „Un pas de chat sauvage“. 

© Jean Louis Fernandez

Stück über Rassismus: Wilde Schritte, weiße Zuschreibungen

Eine Erzählung von Marie NDiaye handelt von zwei schwarzen Sängerinnen. Am Théâtre National in Straßburg wurde jetzt eine Bühnenadaption uraufgeführt.

Von Eberhard Spreng

Vor drei Jahren veranstaltete das Musée d’Orsay eine folgenreiche Ausstellung. „Le Modèle noir – de Géricault à Matisse“ versammelte Portraits nichtweißer Menschen. Sie legte die Sichtweisen offen, mit denen weiße Künstler Menschen mit dunkler Hautfarbe betrachten. Vor allem aber gab sie den oft anonymen Modellen ihre Identität zurück.

Dem Menschen hinter dem Bild sollte Gerechtigkeit widerfahren. Auch eine eher unscheinbare Fotografie Nadars der kubanischen Sängerin Maria Martinez war Teil der Ausstellung. Eine schwarze Frau, in üppigem hellen Gewand, gestützt auf ihren linken Arm, mit dem melancholischen Blick ins Irgendwo.

Dieses Bildnis hat die Prix-Goncourt-Preisträgerin Marie NDiaye zur Erzählung „Un pas de chat sauvage“ inspiriert, die damals im Katalog der Ausstellung abgedruckt wurde. Eine weiße Historikerin ringt da mit dem Projekt einer Biografie dieser schwarzen Sängerin, einer schillernden Gestalt, die in den 1850er Jahren auf den Pariser Bühnen eine kurze und zweifelhafte Bedeutung erlangte.

Die literarische Würdigung eines Opfers von Rassismus – ein schönes Vorhaben. Dabei begegnet sie aber, ein wenig wider Willen, der heutigen schwarzen Sängerin Marie Sachs, deren Leben Ähnlichkeiten mit dem der Maria Martinez aufzuweisen scheint. Eine Wiedergängerin oder nur eine Vision der Historikerin? Am Théâtre National in Straßburg wurde jetzt eine Bühnenadaption uraufgeführt.

Nathalie Dessay spielt eine mäßig inspirierte Frau mittleren Alters, wohlmeinend bemüht um den richtigen literarischen Zugang zu ihrem Thema. Sie weiß: Théophile Gautier hatte Maria Martinez unterstützt, aber eine hemmungslos rassistische Kritik vertrieb die Künstlerin wieder aus dem Rampenlicht, in sozialen Abstieg und dunkle Verzweiflung. Zu hören sind in der Aufführung Ausschnitte aus den damaligen Kritiken.

Wie aber sind die wenigen historischen Quellen mit der Gestalt zu vereinbaren, die nun mit der großartigen Nancy Nkusi als Marie Sachs die Bühne erobert? In wechselnden Kostümen performt sie die ganze Bandbreite von weißen Projektionen auf schwarze Menschen auf europäischen Bühnen: Vom tribalen Ritual über einen erotisierten Auftritt, der an Josephine Baker erinnert bis hin zu Showbiz-Klischees, die in Deutschland ohne Triggerwarnung kaum auskämen. Begleitet wird sie vom furiosen Musiker Greg Duret.

Das Prospekt eines alten Theaters spannt sich zunächst in zwei Stoffbahnen über die ganze Bühne, bis diese alte Showwelt zerfällt und das Elend offenbart, das sich hinter der Maske des Performativen verbirgt: Marie Sachs singt in sinistren Spelunken, in denen der „Geruch des Scheiterns“ und vergebliche Hoffnungen die Erzählerin zu Tränen rührt. Was sich für die elegante Dame aus der französischen Bourgeoisie in ihrer historischen Betrachtung der schwarzen Sängerin so schön zu ordnen schien, zerfällt in der Begegnung mit ihrer gegenwärtigen, zeitgenössischen Entsprechung.

Marie Sachs ist die Provokation, an der das Projekt der weißen Porträtistin zu scheitern droht. Das „schwarze Modell“ widersteht der Bildwerdung und reklamiert Empathie an Stelle von Verstand und Vorstellungsgabe. Man begreift: Der Rassismus ist in der Welt der Projektionen leicht zu überwinden, in der realen Begegnung bleibt er virulent.

Die Diskriminierung der weißen Vorfahren ist schnell erkannt, die eigene ist trotz einer woken Diversitätskultur schwer zu bewältigen. Marie NDiaye und Regisseurin Blandine Sevetier erzählen von der schwierigen Begegnung zwischen zwei Frauen unterschiedlicher Hautfarbe. Sie scheitert in dem Moment, in dem die eine zum Modell der anderen wird, zum kulturellen Gegenstand und damit notwendig ins Lichte der Projektionen gerückt wird.

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