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Kultur: Sünden hassen, aber nicht die Menschen: Staatspräsident Kim Dae-jungs außergewöhnliche Autobiografie

Es ist schon eine kleine Sensation, wenn am 12. Juni Präsident Kim Dae-jung und sein nordkoreanischer Amtskollege Kim Jong Il zum ersten Gipfel seit dem Ende des Korea-Krieges in Pyöngjang zusammentreffen.

Es ist schon eine kleine Sensation, wenn am 12. Juni Präsident Kim Dae-jung und sein nordkoreanischer Amtskollege Kim Jong Il zum ersten Gipfel seit dem Ende des Korea-Krieges in Pyöngjang zusammentreffen. Wenn nichts dazwischen kommt, wäre Südkoreas Präsident Kim Dae-jung der Verwirklichung seines Traumes einen bedeutenden Schritt näher gekommen. "Lange stand ich an den Resten der Berliner Mauer und dachte an die Realitäten in Korea. Die deutsche Wiedervereinigung als Vorbild sehend, entschloss ich mich, den Rest meines Lebens vor allem den Vorbereitungen der koreanischen Wiedervereinigung zu widmen", schreibt Kim Dae-jung zu seiner Europareise 1992 in seiner Autobiografie. Es ist ein außergewöhnliches Buch aus der Feder eines amtierenden Politikers, der Verfolgung, Verhaftung, Gefangenschaft, Todesurteile und Exil erlitten hat. Vielleicht ist es deshalb frei Floskeln und Selbstinszenierungen.

Fünfmal zum Tode verurteilt

Gleich zu Beginn schlägt Kim Dae-jung den Ton an, der das ganze Buch durchzieht. Als Präsident Park am 16. Oktober 1979 erschossen wurde - dieser hatte Kim Dae-jung zum Tode verurteilt -, sagte Kim zu Reportern: "Wie gerne hätte ich zu seinen Lebzeiten noch mit ihm gesprochen. Wie schade, dass es nicht mehr möglich ist. Durch sein Verhalten hatte Präsident Park mich gelehrt, wie wichtig der Dialog in einer demokratischen Gesellschaft ist."

Kim Dae-jung blickte im Laufe seines politischen Lebens fünfmal dem Tod ins Auge, zuletzt 1980, als er in Folge des Aufstandes von Kwangju wegen Hochverrats zum Tode verurteilt wurde. Der tiefgläubige Christ Kim Dae-jung findet selbst bei der Erinnerung an das Militärgericht, das ihn verurteilt hatte, noch milde Worte für seine Gegner: "Man soll die Sünden hassen, aber nicht die Menschen, das ist meine politische und religiöse Überzeugung und seit langem meine Lebensphilosophie."

Geprägt wurde das Leben dieses 1925 auf der Insel Hauido in der Provinz Süd-Cholla Geborenen von seinem künstlerisch und politisch ambitionierten Vater und der Tatsache, dass koreanische Literatur unter der japanischen Kolonialverwaltung verboten war. Hierin und in dem Korea-Krieg sieht Kim Dae-jung die Wurzeln seines politischen Engagements.

Ursprünglich zählte der Kaufmann zur politischen Rechten, entkam im Koreakrieg aus kommunistischer Gefangenschaft, betätigte sich als Zeitungsverleger und als Reeder, bis er 1954 als Unabhängiger mit Unterstützung der Gewerkschaften für das Parlament kandidierte. Kim verlor die Wahl und erfuhr zum ersten Mal, wie Wahlen in Korea manipuliert wurden. "Man könnte fast behaupten, dass meine politische Karriere ein einzigartiges Protokoll des Wahlbetrugs in Korea ist", schreibt Kim heute.

Mit seiner Biografie liefert er den Beweis für den steinigen Weg, den die demokratisch gesinnten Koreaner zurücklegen mussten. 1956 trat er in die Demokratische Partei ein und konvertierte zum Katholizismus. Als er 1961 endlich die Wahl gewann, putschte zwei Tage später das Militär unter Park Chung Hee. Kim wurde verhaftet. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass er für seine Überzeugung ins Gefängnis ging.

1963 wurde er wieder ins Parlament gewählt, wo er die politische Auseinandersetzung mit Präsident Park Chung Hee sucht. Während des Vietnam-Krieges waren Kim Dae-jung und seine Anhänger gegen eine Beteiligung Koreas am Krieg, was nach Kims Meinung die USA nur noch enger an den Diktator Park band. Als Kim 1971 als Präsidentschaftskandidat gegen Park antrat und für eine Annäherung an den Norden warb, wurde er als "Roter" verunglimpft. Damit wurde er für seine politischen Gegner zum Freiwild. Er schildert glaubhaft den brutalen Unterdrückungsmechanismus in Korea und den mühsamen Weg der Demokratisierung.

Sonnenscheinpolitik

Kim erscheint dem Leser wie eine japanische Darhma-Puppe, die bei jedem Stoß sofort wieder aufsteht. Sein unerschütterlicher Glaube und die feste Überzeugung, sein Land in die Demokratie führen zu müssen, haben ihn zum Durchhalten bewogen. Kim beschreibt dies ohne Pathos, aber mit viel Leidenschaft und Poesie. Seine Sprache ist offen, ungewöhnlich für einen amtierenden Politiker. Wo er Fehler gemacht hat, ist er durchaus selbstkritisch. "Dieser Mann ist ein Segen für uns", hat kürzlich ein japanischer Diplomat zu Kims "Sonnenscheinpolitik" der Aussöhnung gesagt.

Man ist versucht, Martin Luther King zu zitieren: "I had a dream....!" Kims Traum wurde 1997 in einem ersten Schritt Wirklichkeit: Er gewann die Präsidentschaftwahlen. Der zweite Schritt beginnt im Juni in Pjöngjang.Kim Dae-jung: Mein Leben, mein Weg. Autobiografie des Präsidenten der Republik Korea. Aus dem Koreanischen übertragen von Cei Woon-Jung. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Verlagsbereich Buch, Frankfurt am Main 2000. 304 Seiten. 58 DM.

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