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Kultur: "Super echt": Mehr echt als schlecht

Wenn Tom Kummer aus dem Fenster seines Appartements schaut, dann sieht er eine "geometrische Unendlichkeit aus parallel verlaufenden und rechtwinklig sich kreuzenden Straßenzügen", und "die Suchscheinwerfer der Polizeihubschrauber kreisen lautlos über den Häuserblocks". Er sieht es, aber er glaubt es nicht.

Wenn Tom Kummer aus dem Fenster seines Appartements schaut, dann sieht er eine "geometrische Unendlichkeit aus parallel verlaufenden und rechtwinklig sich kreuzenden Straßenzügen", und "die Suchscheinwerfer der Polizeihubschrauber kreisen lautlos über den Häuserblocks". Er sieht es, aber er glaubt es nicht. Sein Ausblick, sagt er, sei nichts anderes als die "Startrampe in eine künstlich hergestellte Welt".

Es ist kaum ein halbes Jahr her, dass die fingierten Promi-Interviews des aus Los Angeles berichtenden Schweizers für erheblichen Wirbel in der Medienlandschaft sorgten. Und schon sind seine Texte zur Grundlage eines Theaterstücks geworden. Das Dresdener TIF (Theater in der Fabrik) hat sich mit "Super echt" des Falles Kummer angenommen und zu einer poppigen, teils beklemmend lakonischen, teils wild verästelten Szenen-Collage verarbeitet. Auf der Bühne stehen stahlblanke Hometrainer, mehrere Telefonzellen und fünf Schauspieler, die zum Auftakt eine Filmszene erzählen, aber einander ständig das Wort abschneiden. Die Großartigkeit dessen, was da vor ihrem inneren Auge abläuft, ist offenbar zu großartig, als dass sie noch einen klaren Gedanken fassen könnten. Womit wir mitten im Thema sind.

Denn die Welt, die Tom Kummer wahrnimmt, ist eine paranoide Welt, ein umfassender, auf Presselügen, PR-Projektionen und Silikonimplantaten errichteter Oberflächenzauber, den er zutiefst verachtet. Er beleidige den klugen Menschen, sagt er. Während seine Korrespondenten-Kollegen dem in Routine erstarrten Showbiz-Schwindel gehorsam folgen, ist er stolz, zwischen "Gut und Böse", "Freund und Feind" unterscheiden zu können. "Es macht mir Spaß, die Liquidierung einer Kultur zu beobachten - und dabei auf die Erlösung von unten zu hoffen", höhnt er. Denn er führt einen Krieg: gegen ein System aus Agenten, Stars und die Simulationsmaschine von Hollywood.

Es dürfte diese Selbststilisierung gewesen sein, die das TIF-Team (Regie: Matthias von Hartz) veranlasste, die nicht eben erhellende Parallele zu dem Science-Fiction-Film "Matrix" herzustellen. Dessen These, dass Realität sich lediglich aus den Fiktionen eines Maschinenhirns speist, und die Menschen für wirklich halten, was der Apparat ihrem Bewusstsein an Bildern injiziert, könnte in der Tat auch dem fiebrigen Wachtraum eines Tom Kummer entsprungen sein. Nur führt diese Übereinstimmung nicht sehr weit. Im Grunde nirgendwohin. Sie bleibt ein medientheoretische Meditation, wenn auch mit überraschenden Pointen. So verwandelt sich die schwarze Bühne in ein auf leuchtende Linien beschränktes Raumraster, die Matrix. Während die fünf Akteure mit kühlblasser Lässigkeit aus Kummers Buch "Good Morning Los Angeles - Die tägliche Jagd nach der Wirklichkeit" rezitieren, werden sie immer wieder zu Action Szenen verleitet, die dem inneren Wahnsinn eine hysterische Körperlichkeit geben sollen. Auch wenn es ganz schön ist, im Theater Filmdialoge zu hören, bleibt doch stets unklar, wessen Geschichte erzählt werden soll: die eines unter seiner eigenen Nichtigkeit leidenden Hochstaplers (Kummer) oder die eines Auserwählten, der die Welt retten kann ("Matrix").

Um zu begreifen, worin der Kummer- Skandal besteht, muss die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit zumindest erkennbar sein. Sonst wird auch der Nervenkitzel nicht deutlich, der den Hollywood-Reporter bei seinem Versuch getrieben hat, "ein perfekter Choreograf der Unwirklichkeit zu sein".

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