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Kultur: Suppe und andere Delikatessen

Isabel Coixets „Klänge der Karte von Tokio“

Das Buffet ist gut! Lauter nackte Frauen auf langen weiß gedeckten Tischen. Und zwischen ihren Brüsten und ihren Schenkeln, auf ihren Bäuchen die schönsten Delikatessen. Dies ist der Traum jeder Hausfrau. Wie viel Geschirr ließe sich sparen! Allerdings nehmen an diesem Buffet relativ wenige Hausfrauen teil, eher gar keine – dies ist ein Geschäftsessen, und die Japaner wollen ihren europäischen Gästen etwas bieten. Man erwartet das von ihnen. Die Japaner lächeln. Auch das erwartet man von ihnen. Dafür unterhalten sie sich untereinander auf japanisch, immer noch lächelnd, über die Zumutung, die ein solches Buffet darstellt. Und dann geht alles ganz schnell. Der oberste Geschäftsmann wirft das Buffet um.

So beginnt Isabel Coixets „Eine Karte der Klänge von Tokio“. Im Grunde sind ihr Geschäftsleute und Buffets egal. Was die Regisseurin von „Mein Leben ohne mich“ oder „Das geheime Leben der Worte“ will, ist klar: Sie will uns das Fernste zum Nächsten machen, eine Sinnlichkeit entfesseln, gegen die die Damen auf den Tischen nichts weiter sind als das, was sie sein sollen: kalte Platten eben.

Oft schon kamen aus Japan die größten Kino-Leidenschaften. In einem Land, in dem der vernunftbegabte Mensch kein Straßenschild mehr lesen kann, lernt er wieder, seinen Sinnen zu trauen. Man muss nicht wissen, wie eine Straße heißt, um sie zu kennen. Man muss sie schmecken, sehen und hören. Das sagt sich auch der pensionierte Toningenieur, der gerade dabei ist, Tokio neu zu vermessen – in einer Landkarte aus Klängen, wobei er eines Tages auf ein besonders zartes Schlürfen stößt. Das Schlürfen gehört zu einer schönen, jungen Suppenesserin. Und der Toningenieur möchte gern alle Geräusche kennenlernen, zu denen diese Frau imstande ist.

Viel ist hier nun schon berichtet, und noch immer weiß niemand, worum es geht. So wie der Zwischenstand dieser Kritik ist auch der Film. Die taktloseste Frage angesichts von Ekstasen aller Art lautet gemeinhin: Was soll denn das? Leider besetzt sie immer wieder das Bewusstsein, auch stellt sich ab und zu eine leise Langeweile ein, und man fragt sich, ob dieser Film das verdient hat.

Hat er nicht!, sagt eine innere Stimme. Man muss doch blind sein, nicht zu sehen, wie schön, wie fragil das alles hier fotografiert ist. Nicht Häuser, sondern die Lücken zwischen Häusern. Nicht Menschen, sondern die Lücken zwischen Menschen. Man muss taub sein, nicht zu hören, wie diese Stadt klingt. Und schließlich: Man muss stumpf sein, nicht zu sehen, dass die virtuose Suppenschlürferin gemeinsam mit einem spanischen Weinhändler – Rinko Kikuchi mit Sergi López – eine Kinoekstase vom Zaun bricht, die keine Vergleiche scheuen muss. Wäre da nur nicht diese Frage: Warum machen die das?

Die Suppenesserin soll den Weinhändler nämlich nicht lieben, sondern ihn umbringen. Weil er der letzte Freund der Tochter des Geschäftsmanns war, der das Buffet umgestoßen hat. Und die hat Harakiri gemacht, zumindest etwas mit gleichem Ergebnis, wegen des Weinhändlers, glaubt der Geschäftsmann. Also muss der Weinhändler sterben. Japaner denken so. Wer kennt schon die Japaner? Und ein Volk, das solche Buffets hervorbringt – sie heißen Nyotaimori –, bringt bestimmt auch jede Menge Auftragsmörderinnen hervor, einfach so. Manchmal liebt man Filme dafür, dass sie einem nichts erklären wollen, die entscheidenden Dinge sind ohnehin nicht erklärbar. Dieser aber wirkt konstruiert, überanstrengt. Und es gibt keine konstruierten Ekstasen. Kerstin Decker

Filmkunst 66, Kulturbrauerei, Moviemento; OmU im fsk am Oranienplatz

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