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Regisseur Alexandre Rockwell und seine Tochter Lana.

© Thilo Rückeis

„Sweet Thing“ auf der Berlinale: Die Locken mussten runter

Der US-Regisseur Alexandre Rockwell arbeitete schon mit Tarantino. Jetzt stellte er mit Tochter Lana das Sozialdrama „Sweet Thing“ vor.

In Berlin wurde Alexandre Rockwell zum Filmemacher. 1982 war das. Sein Erstling „Lenz“ nach Georg Büchners gleichnamiger Novelle lief damals im Internationalen Forum des jungen Films. „Das war meine Geburtsstunde“, erzählt er. „Damals musste ich mich erstmals als Regisseur einem großen Publikum stellen.“

Nun ist er wieder in der Stadt, um seine zwölfte Regiearbeit vorzustellen: „Sweet Thing“, ein märchenhaftes Sozialdrama über eine kaputte Familie, läuft im Kinderprogramm der Berlinale. Zum Gespräch kommt Rockwell zusammen mit seiner 16-jährigen Tochter Lana. Sie ist auch seine Hauptdarstellerin. So wie sein Sohn Nico und seine Frau Karyn Parsons, die in „Sweet Thing“ als Mutter zu sehen ist.

Der Name Alexandre Rockwell ist fest mit dem US-amerikanischen Independent-Film verbunden. Er gehört zu der Generation Filmschaffender, die sich ab Mitte der 80er mit unabhängig produzierten und formal eigenständigen Filmen einen Namen machten. 1992 gewann sein Film „In the Soup“ beim Sundance Festival den Großen Preis der Jury.

Rockwell hat nicht nur mit Quentin Tarantino, Robert Rodriguez, Allison Anders, sondern auch mit Steve Buscemi, Anthony Quinn und Peter Dinklage gearbeitet. Man könnte also vor Ehrfurcht erstarren. Tut man aber nicht, weil er und seine Tochter einem mit einer Offenheit und Wärme begegnen, als würde man sich ewig kennen.

„Sweet Thing“ ist kein Kinderfilm, aber ein Film über Kindheit und tatsächlich war Rockwell anfangs irritiert, dass er für diesen Wettbewerb ausgewählt wurde. Doch Sektionsleiterin Maryanne Redpath hat ihn überzeugt, dass er hier sein Publikum finden wird, und nun wirkt er, wenige Stunden vor der Weltpremiere, doch etwas aufgeregt.

Risse und Brüche

2013 hat er schon einmal mit Tochter und Sohn gedreht. „Little Feet“ erzählt eine kindliche Odyssee durch Los Angeles. In „Sweet Thing“ sind es nun Teenager, die mit der Welt der Erwachsenen kollidieren. Rockwell, der auch das Drehbuch verfasst hat, mutet seinen jungen Figuren einiges zu: der Vater ein Säufer, die Mutter abgehauen, dazu Verrat, Gewalt, gar sexuelle Übergriffe. Doch er setzt all dem Schrecken etwas entgegen, vor allem einen unbändigen Glauben an die Kraft der Liebe und am Ende Hoffnung.

Ihn interessiert nicht das schöne Bild, sondern Risse und Brüche. Nur dort, so der Filmemacher, sei Platz für Poesie, finde er das Menschliche in schwierigen Momenten. Er hat auf 16mm gedreht, in körnigem Schwarz-Weiß, mitunter von wundersam farbigen Sequenzen durchbrochen. Die Kamera verweilt auf Gesichtern, wirkt oft dokumentarisch, sucht den Zauber des Augenblicks. Was improvisiert wirkt, folgt einem genauen Skript.

Rockwell schwärmt in höchsten Tönen von seinen Kindern, die ohne schauspielerische Ausbildung den Film tragen. Lana hatte zuerst keine Lust auf den Dreh. Sie wollte ihren Sommer in New York, nicht in Massachusetts verbringen. „Aber dann habe ich verstanden, dass es um etwas viel Größeres geht als um mich allein.“ Die Rolle der Billie, die große Schwester und Mutter für ihren Bruder ist, war nicht immer leicht. „Ich wollte Billie beschützen.“ Vor allem „die verrückte Szene“, in der ihr Filmvater im Suff ihre Haare schneidet, hat sie in Erinnerung.

[Letzte Vorführung: 28.2., 13 Uhr (Zoo Palast 2)]

Die wunderschönen Locken, die da zu Boden fallen, sind tatsächlich ihre eigenen. Ebenso die Tränen. „Ich bin ein liebevoller Vater und ein knallharter Regisseur“, entschuldigt sich Rockwell. Er weiß, dass seine Tochter versteht, wie wichtig diese Szene ist. „Irgendwie war es sogar befreiend, die Haare schneiden zu lassen“, gibt Lana zu.

Er unterrichtet Regienachwuchs

Sich als Filmemacher die eigene Unabhängigkeit zu bewahren, ist Alexandre Rockwell wichtig. Ein Teil seines Teams studiert bei ihm an der New Yorker Tisch School of Arts, wo er das Regie-Department leitet. Die Finanzierung des Films war schwierig. Sein eigenes Geld steckt darin, ein Großteil kam über Crowdfunding zusammen.

Er mochte die Idee nicht, habe sich „wie ein Tanzbär gefühlt, der um Geld bettelt“, bis er merkte, dass er darüber in Kontakt mit einem Publikum kommt, das Filme schätzt, wie er sie macht. Ob dieses Kino neben Hollywood bestehen kann, weiß er nicht zu sagen. Doch Lana unterbricht ihn: „Natürlich! Es wird immer Leute geben, die genau solche Filme wollen!“ Am Abend kann er in der jubelnden Urania dann erleben, dass seine Tochter recht damit hat.

Kirsten Taylor

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