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Der Zeuge und sein Biograf. Noah Klieger und Takis Würger bei einem Treffen in Tel Aviv. Klieger starb im Dezember 2018.

© Jonas Opperskalski / laif/Penguin

Takis Würgers Buch über Noah Klieger: Das Brot war schwarz und feucht

Immer auf einen Effekt aus: Takis Würger erzählt die Lebensgeschichte des französischen Holocaust-Überlebenden Noah Klieger.

Als sich der „Spiegel“-Reporter Takis Würger vor zwei Jahren Vorwürfen ausgesetzt sah, mit seinem Roman „Stella“ Holocaust-Kitsch produziert zu haben und zu leichtfertig mit diesem Stoff über eine jüdische Verräterin umgegangen zu sein, nannte er häufig den israelischen Sportjournalisten und Holocaust-Überlebenden Noah Klieger als Kronzeugen.

Dieser habe ihm versichert, so Würger damals, dass er als junger Schriftsteller ohne jüdischen Hintergrund natürlich einen Roman über die Shoah schreiben dürfe. Überhaupt seien unter anderem die vielen Treffen mit Klieger 2018 in Tel Aviv ein Beweis für seine Lauterkeit und intensive Auseinandersetzung mit dem Holocaust.

Nicht zuletzt dienten diese Begegnungen aber auch dem Zweck, „dass wir gemeinsam sein Leben festhalten wollten“, wie Takis Würger es nun in einem Nachwort seines dieser Tage veröffentlichten Buches über Noah Klieger schreibt.(Penguin, München 2021. 185 Seiten, 20 €.)

Würger spricht von "oral history"

Anders als „Stella“ soll „Noah. Von einem, der überlebte“ ausdrücklich kein Roman sein. Das Buch stehe in der Tradition einer „oral history“, betont Würger.

Weshalb, so muss man annehmen, es auf einer fast leeren Seite mit einer atmosphärischen Szene in Tel Aviv beginnt, mit einem „alten Mann“, der unter einem „Kumquatbaum im Garten eines Hochhauses“ sitzt und „seine Geschichte“ erzählt. Nur besorgt dieses Erzählen dann aber Takis Würger und konzentriert sich dabei in seinem schlanken, 150 Seiten zählenden Buch auf die entscheidenden frühen Lebensstationen Kliegers.

1926 in Straßburg geboren und in jungen Jahren als Fluchthelfer jüdischer Kinder tätig, wird Klieger 1942 in der belgischen Kleinstadt Mouscron von der Gestapo aufgegriffen und nach Auschwitz deportiert. Hier erlebt er alle denkbaren und undenkbaren Grausamkeiten – und meldet sich für eine KZ-Box-Staffel, ohne jemals einen Boxkampf geführt zu haben.

Diese Mitgliedschaft und die vielen dann verlorenen Kämpfe tragen mit dazu bei, dass Klieger überlebt, aufgrund besserer Essensrationen für die Boxer.

Takis Würger beschreibt dann, wie Klieger es schafft, die Arbeitskommandos zu überstehen und nicht selektiert zu werden. Wie er nach der Räumung von Auschwitz vor der anrückenden sowjetischen Armee die Todesmärsche durchsteht und die Lager Mittelbau-Dora und Ravensbrück überlebt.

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Nach einem Zwischenspiel in Brüssel, wo Klieger seine Eltern zufällig in einem Bus wiedertrifft – sie beide haben Auschwitz ebenfalls überlebt –, wechselt die Szenerie schließlich auf die „Exodus“, auf der Klieger als Mitglied der Schiffsmannschaft zusammen mit 4500 anderen jüdischen Flüchtlingen versucht, in das von den Briten beherrschte Palästina zu kommen.

Würger schildert nun in seinem atemlosen Kurzsatz-Reportagestil einerseits, was für Menschen Klieger auf dem Schiff begegnet, und anderseits, wie die Exodus erst von den Briten begleitet und bedrängt und dann kurz vor der israelischen Küste angegriffen und aufgebracht wird, mit der Folge, dass alle Flüchtlinge auf mehreren britischen Schiffen zurück nach Europa geschafft werden.

Weil sie davon nichts wissen und glauben, in Zypern zu landen, lässt Klieger sich, guter Schwimmer, der er mal war, von Bord fallen – um dann, so der Plan, von einem anderen Schiff aufgenommen und gewissermaßen als Bote die ahnungslosen jüdischen Flüchtlinge in Kenntnis von der Zwangsrückkehr zu setzen.

"Das Wasser war warm und dunkelblau"

Würger überlässt in dieser Szene Klieger mehrere Gedanken im O-Ton, darunter: „Du hast Auschwitz überlebt, aber das hier kannst du nicht überleben“, beendet das Kapitel aber mit dem Satz: „Das Wasser war warm und dunkelblau.“

Ob Klieger ihm das auch erzählt hat? Ist das eine wichtige, nötige Information? In Würgers Schilderung finden sich einige solcher Details und Sätze, die die Noah-Klieger-Lebensgeschichte ... ja, was eigentlich: anschaulicher? lesbarer? farbiger? machen sollen.

„Es war eine schöne Nacht, kalt und klar“, heißt es einmal, nachdem sich die Auschwitz-Gefangenen in Reih und Glied aufzustellen hatten; das Brot, das Klieger sich mit seinen Leidensgenossen in einem Zug teilt, „war schwarz und feucht“.

Oder es ist in einer Kurzbiografie von Josef Mengele, die Würger in seine Klieger-Erzählung montiert, von „Beppo“ die Rede, wie Mengele als Kind genannt wurde, der sich später „für Kunst und Blondinen interessierte“.

Klieger starb im Dezember 2018

Hat Klieger das seinem Biografen auch so erzählt? Hat er sich an die Schönheit jener Auschwitz-Nacht erinnert, an das warme Wasser nach seinem Sprung von dem britischen Schiff ein paar Jahre später?

So nüchtern und schlackenlos und vermeintlich frei aller Fiktion einer „oral history“ verpflichtet ist Würgers Bericht leider nicht. Der „Spiegel“-Reporter drückt der Geschichte des erzählenden alten Mannes seinen Stempel, seinen Stil auf, gern mal auf den Effekt aus. Das irritiert, da wäre Zurückhaltung, ein wenig mehr Sachlichkeit angebrachter gewesen, bei aller Um- und Vorsicht, die Würger sonst hat walten lassen. Das beginnt mit einer Leseliste, auf der zuvorderst Kliegers eigene Erinnerungen mit dem Titel „Zwölf Brötchen zum Frühstück“ stehen, und setzt sich fort in gleich drei Nachworten, die neben Würger die Nichte Kliegers und die in Yad Vashem tätige Holocaust-Forscherin Sharon Kanister Cohen diesem Buch mitgegeben haben.

In seinem Nachwort stellt Würger auch Fragen nach der Letztgültigkeit mancher Erinnerung Kliegers, zum Beispiel, ob er wirklich von Mengele selektiert wurde. Er konstatiert dann aber einmal mehr, dass es Kliegers Geschichte sei, „seine Erinnerung“, und der Holocaust-Überlebende diese, „wie sie hier steht, gelesen und redigiert“ habe. „Er wollte, dass ich sie so festhalte, wie sie in diesem Buch erscheint.“

Klieger starb im Dezember 2018 im Alter von 92 Jahren. Obwohl er oft in Zeitungen und Magazinen porträtiert wurde, er selbst unermüdlich nachwachsenden Generationen die Shoah nahebrachte, ist es zumindest Würgers Verdienst, an das Leben dieses Mannes erinnert zu haben, vielleicht sogar nachhaltig.

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