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Kultur: Tatort Tiergarten

Wenn es in dieser Stadt ein Streitobjekt gibt, dann ist das der Tiergarten. Was immer dort geschieht, stößt den Berlinern sauer auf.

Wenn es in dieser Stadt ein Streitobjekt gibt, dann ist das der Tiergarten. Was immer dort geschieht, stößt den Berlinern sauer auf. Zum Beispiel Menschen, die wild grillen. Dürfen die das? Gehört das nicht verboten? Oder die Loveparade. Wer erinnert sich nicht an die Horrornachrichten: Kleine unschuldige Singvögel fielen angeblich mausetot von den Ästen. Die Technomusik hatte sie auf dem Gewissen. Ganz zu schweigen von den berüchtigten „Tiergartenpissern“ („Bild“). „Tausende Liter hochprozentiger Urin in deutschen Grünanlagen: Alle Büsche besoffen!“ So oder ähnlich lauteten die Schlagzeilen, die uns erregten.

Diesmal war alles ganz anders. Die Fan-Meile, ebenso gut besucht wie die Techno-Parade, war ein „voller Erfolg“. Wo aber waren die Kritiker, die uns das traumatisierte Eichhörnchen zeigten, dass seit dem Torjubel beim Argentinienspiel an einem unheilbaren Tinnitus leidet? Wer zeigte Mitleid mit den im WM- Bier jämmerlich ertrunkenen Ameisen und wo war der Anwalt der durch zu lautes Hymnensingen traumatisierten Schwanzdrossel? Nichts dergleichen. Stattdessen überboten sich alle im Lob über den „friedlichen Charakter der Fußballparty“. Es gab ja nur wenige Flaschenwürfe, kaum Prügeleien und nur einen Amokfahrer. Wir waren begeistert.

Bei der Loveparade , die am Sonnabend ein Fitnessunternehmen wieder mal im Tiergarten veranstaltet, gab es eigentlich nie Flaschenwürfe, auch musste man dort bislang nicht mit Hooligans rechnen. Und dennoch war die Krachveranstaltung ein ständiger Zankapfel. Die meisten Berliner werden wie in den Vorjahren ohnehin lieber zu anderen Parties flüchten, zum Beispiel in den Schokoladen , der mit Konzerten der Reggae-, Surf- und Elektropunkbands ab 18 Uhr seinen 16. Geburtstag feiert (Ackerstr. 160, Mitte). Die Loveparade aber wird vermutlich ohnehin zur Resteverwertung der bundesfarbenen Karnevalsutensilien dienen. Und sollte dann einmal keine Diskussion um Müll, Lärm und Urin entbrennen: Dann hätten wir doch noch unser Wunder von Berlin.

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