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Kultur: Tausch und Terror

Es ist ein Privileg des Philosophen zu schweigen, auf die drängendsten Fragen der Gegenwart keine Antwort zu wissen und doch sehr wortgewaltig zu sein. Als Jean Baudrillard, französischer Meisterdenker, am Dienstagabend in der Technischen Universität über die Terroranschläge vom 11.

Es ist ein Privileg des Philosophen zu schweigen, auf die drängendsten Fragen der Gegenwart keine Antwort zu wissen und doch sehr wortgewaltig zu sein. Als Jean Baudrillard, französischer Meisterdenker, am Dienstagabend in der Technischen Universität über die Terroranschläge vom 11. September sprach, wusste er auf die wichtigste Frage nichts zu sagen: Was können wir tun, um der Globalisierung und ihrer Auswüchse an Terror und Gewalt zu widerstehen? Der 72-Jährige hob die Schultern, ratlos.

Das Bedürfnis ist groß, in Zeiten des Krieges über die gesellschaftlichen Demarkationslinien aufgeklärt zu werden. So zahlreich waren die Zuhörer erschienen, dass viele Baudrillards Ausführungen über den "Geist des Terrorismus" vor den Türen stehend verfolgen mussten. Seitdem der Philosoph vor kurzem einen umstrittenen Aufsatz zu diesem Thema in "Le Monde" veröffentlichte, ist unter französischen Intellektuellen ein heftiger Streit entbrannt. Er habe eine Apologie des Terrorismus verfasst, wurde der für seine Provokationen berüchtigte Denker des Radikalen gescholten. Der Publizist Alain Minc nannte Baudrillard sogar selbst einen "geistigen Terroristen" und verwarf dessen Thesen als "grotesk".

Dabei ist offenbar besonders provokant, dass der Kulturphilosoph die moralisch aufgeheizten Debatten durch seine Weigerung stört, moralische Bewertungen abzugeben. Trotzdem widerlegt er mit seiner These, dass der Terrorismus den "Streik der Ereignisse" des vergangenen Jahrzehnts für einen kurzen Moment aufgebrochen habe, nur scheinbar jene Zeitzeugen, die das Heraufdämmern einer neuen Weltordnung beobachten. Denn obwohl der Kollaps des World Trade Center für Baudrillard eine Art Selbstmord der Globalisierung darstellt, folgt daraus nicht deren Untergang. Der Terrorismus ist lediglich das "letzte Stadium". Indem er der sanften Vernichtung der sich schrankenlos ausbreitenden Märkte eine monströse Kurzschlusslogik entgegensetzt, macht er den Gewaltkontext des Ganzen offenbar. "Es war das System selbst, das die objektiven Bedingungen für diesen brutalen Rückstoß geschaffen hat. Weil es selbst alle Vorteile auf seiner Seite bündelt, zwingt es den anderen, die Spielregeln zu ändern."

In Baudrillards Denkens wohnt eine melancholische Trauer. Sie verteidigt den Terrorismus als Strategie keineswegs. Und sie glaubt auch nicht an die Umkehrbarkeit einer historischen Entwicklung, die weltweit eine Simulationskultur implantiert. Auch in Zukunft werden wir zwischen wahr und falsch, Realität und Täuschung nicht unterscheiden können, so Baudrillard. Es sei dem Zufall überlassen, jene Singularität des Ereignisses zu erzeugen, die die Kontinuität des Banalen durchschlägt.

Man fragt sich, ob die mit zynischer Eleganz vorgetragenen Thesen vor allem den Mangel an metaphysischen Sinn-Prospekten beklagen, den philosophische Erklärungen noch aufspannen können. "Ich selbst begehe Selbstmord", sagte Baudrillard, nicht nur ironisch. "Ich bestehe darauf, meine Konzepte über das Ende hinaus zu denken, um zu sehen, was geschieht." Das abendländische Denken gleicht einem Blindflug. Vor lauter Verzweiflung, dass die kaltblütige Konsequenz des Terrorismus die eigene Vernunft übersteigt, stürzt sich die Vernunft selbst in den Tod.

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