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Weichzeichner-Patina über Fönwelle: Oscar-Preisträgerin Jessica Chastain in "The Eyes of Tammy Faye".

© Disney

„The Eyes of Tammy Faye“ im Streaming: Erlösung per Fernbedienung

Oscar für Jessica Chastain: Im Biopic „The Eyes of Tammy Faye“ versucht sich der Hollywoodstar an der Rehabilitierung der umstrittenen Fernsehprediger-Ehefrau.

In den USA ist das Predigen im Fernsehen ein einträgliches Geschäft. Man schaut eine Show, ruft eine Nummer an, spendet Geld und - Hallelujah! Das Seelenheil ist gerettet. Einer der Vordenker der sogenannten Televangelisten war in den 1960ern der ultrakonservative Pat Robertson, der später auch die Tea Party unterstützte. Bei Robertson lernten unter anderem Jim and Tammy Faye Bakker das Handwerk, gemeinsam baute das Ehepaar ein christliches Medienimperium auf.

Bis zu 20 Millionen Menschen schalteten in den Siebzigern und Achtzigern ein, wenn Jim predigte, Tammy Faye Alltagstipps gab, erbauliche Interviews führte und ihre Country-Gospel-Lieder sang. Die Spenden flossen in den wachsenden Sender, einen christlichen Themenpark – und in die opulente Villa der Bakkers mit Seeblick. Der Traum platze 1989, als Jim des massiven Betrugs überführt wurde und für acht Jahre ins Gefängnis musste.

Das Biopic „The Eyes of Tammy Faye“, das den Aufstieg und Fall des Bakker-Imperiums nachzeichnet, konzentriert sich stärker auf die Ehefrau des Fernsehpredigers, die vor allem wegen ihres Auftretens nie ganz ernst genommen wurde. Regisseur Michael Showalter lässt dabei im Vagen, wie viel sie tatsächlich von den Machenschaften ihres Mannes wusste. Jessica Chastain hat die Idee zu dem Film, inspiriert von einer gleichnamigen Doku von 2000, fast zehn Jahre mit sich herumgetragen. Ihre Hartnäckigkeit hat sich gelohnt: Für die Titelrolle gewann sie gerade ihren ersten Oscar. Die zweite Auszeichnung erhielt „The Eyes of Tammy Faye“ für Make-Up and Hair.  

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Pomp ohne satirische Zuspitzung

Regisseur Michael Showalter betreibt entsprechend großen Aufwand, damit Chastain und ihr Partner Andrew Garfield wie die realen Vorbilder aussehen –  zum Abgleich werden die Originale im Abspann, wie heute bei Biopics üblich, kurz gezeigt. Das Dekor übernimmt eine tragende Rolle, Kameramann Mike Gioulakis legt einen Hauch von Weichzeichner-Patina über die Fönwellen, Pelze und cremefarbenen Pollunder von Jim Bakker. So gut, dass man sich immer wieder dabei erwischt, den tollen Job der Stylist:innen zu bewundern – während man eigentlich dem Streit der beiden Eheleute folgen sollte.

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„The Eyes of Tammy Faye“ löst sich nie von den tatsächlichen Begebenheiten. Auch die Homosexualität Bakkers, die erst zu Skandalen und medienwirksamen Büßerauftritten der Eheleute und schließlich zur Trennung führt, wird nebenbei heruntererzählt. Showalter inszeniert mit viel Pomp, aber auch ohne satirische Zuspitzung, wie sie etwa dem Tonya-Harding-Biopic „I, Tonya“ gut zu Gesicht gestanden hat. Die Bakkers waren stets auch Karikaturen ihrer selbst, vor allem Tammy Faye mit ihrem permanenten Make-Up, den blondierten Locken und dem nervösen Gekicher. Chastain, die zudem als Produzentin fungiert, hat in Interviews betont, dass sie eine Rehabilitierung für längst überfällig hielt.

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So will „The Eyes of Tammy Faye“ vor allem die Menschen hinter den dauergrinsenden Rampenlicht-Junkies zum Vorschein bringen. Chastain spielt Tammy Faye wunderbar. Hinter dem naiv anmutenden Furor pulsieren Empathie, ein starker Wille und das Wissen um die eigene Überzeugungskraft. Am Rande hebt der Film auch Tammy Fayes Drang nach Mitbestimmung in der von konservativen Rollenbildern geprägten Szene und ihre intuitiven Sympathien für die LGBTQ+-Bewegung hervor, lange bevor die überhaupt diesen Namen trug. Das unterschied sie von anderen Televangelisten, die der religiösen Rechten zuzurechnen sind.

Doch so sehr es „The Eyes of Tammy Faye“ gelingt, ein positiveres Bild von ihr zu zeichnen, kann sich Showalter nicht dazu durchringen, eindeutig Stellung zu ihren Handlungen zu beziehen. Den missionarischen Eifer, den sie und Jim seit ihrer Jugend an den Tag legen, stellt er nicht infrage. Der Film scheint sich eher dafür zu interessieren, wie die Bakkers schon bei ihren frühen Auftritten Puppenspiele in die Wanderpredigten einbauten, um auch Kinder vom Segen der Gottesliebe zu überzeugen – auf dass sie beim nächsten Mal die Eltern mitbringen. Am Ende ist auch „The Eyes of Tammy Faye“ nur der Stoff, aus dem der American Dream besteht. Business plus Religion.

Simon Rayß

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