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Wen sehe im Spiegel? Der Rekrut Ellis (Jeremy Pope) und der Ausbilder Rosales (Raul Castillo).

© Patti Perret / A24 / X Verleih

„The Inspection“ im Kino: Sichtbar als schwuler Mann in der Armee

Elegance Bratton verfilmt mit „The Inspection“ seine eigenen Erfahrungen im US Marine Corps. Ein bewegendes Drama über schwule Identität und Männlichkeitsbilder in einer homophoben Institution.

Von Andreas Busche

Ein einziges Wort reicht, um die militärische Disziplin zu stören. Ich. „Ich weigere mich so zu tun, als würde ich schießen“, sagt der Rekrut und hockt sich aus Protest mit seiner Waffe in den Schneidersitz, als der Ausbilder ihm die Anweisung gibt, auf einen Mitkombattanten zu zielen. „Ich?“, fragt der Drill Sergeant ungläubig zurück. Für einen Moment scheint auf dem Schießstand die Zeit stillzustehen.

Das subjektive „Ich“ kennt die Sprache des US-Militärs nicht, hier gibt es keine Egos – nur ausführende Organe und die Truppe. Mit „Dieser Rekrut“ sprechen die jungen Soldaten von sich in der ersten Person Singular. Und ein guter Soldat ist nur, wer seine Identität hinter sich lässt.

Es ist ein denkbar unpassender Ort, den der junge Ellis French (Jeremy Pope) gewählt hat, um mit sich ins Reine zu kommen. Aber es ist die einzige Chance, die ihm bleibt, um den Respekt seiner Mutter zu gewinnen. Inez (Gabrielle Union) hat ihren Sohn im Alter von 16 Jahren aus der Wohnung geschmissen, als er ihr gestand, dass er homosexuell sei.

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Zehn Jahre später kehrt er noch einmal zurück, um ihr seinen Entschluss mitzuteilen, dass er sich zur Ausbildung bei den US Marines beworben hat. In der Hand hält er einen zerknitterten Blumenstrauß, den er im Tausch für seine Geburtsurkunde durch den Türschlitz reicht. Inez French kennt die machistischen Rituale in männlichen Institutionen: Sie arbeitet im Gefängnis. „Wenn du nicht als der Sohn zurückkehrst, den ich geboren habe, betrachte dieses Stück Papier als wertlos.“

Der amerikanische Regisseur Elegance Bratton hat mit „The Inspection“ seine eigenen Erfahrungen als schwuler Mann im US Marine Corps zwischen 2005 und 2010 verarbeitet. Sein Spielfilmdebüt, nach dem Dokumentarfilm „Pier Kids“ (2019) über das Leben von schwarzen, obdachlosen und trans Jugendlichen am Christopher Street Pier in New York, handelt einerseits von einer uramerikanischen Institution, die bereits in zahllosen Filmen mehr oder weniger auserzählt ist. Bratton beschreibt aber auch ihr Männlichkeitsbild, nicht ganz unähnlich Claire Denis’ Soldatenfilm „Beau Travail“.

„Don’t Ask, don’t Tell“

Als er mit einem Ständer in der Dusche steht, fliegt die Tarnung von Ellis auf. Fortan haben es seine Mitrekruten, allen voran Harvey (McCaul Lombardi), aber auch der sadistische Drill Sergeant Laws (Bokeem Woodbine, der seinem Abo auf böse Figuren ein paar neue Nuancen abgewinnt), auf ihn abgesehen.

Inez (Gabrielle Union) will von ihrem schwulen Sohn nichts mehr wissen.
Inez (Gabrielle Union) will von ihrem schwulen Sohn nichts mehr wissen.

© Patti Perret / A24 / X Verleih

Ellis findet aber auch Verbündete: den Rekruten Ismail (Eman Esfandi), der nur wenige Jahre nach 9/11 als Zielscheibe auf dem Schießstand herhalten muss. Und den Auszubildenden Rosales (Raúl Castillo), der die „Don’t Ask, don’t Tell“-Politik des US-Militärs verinnerlicht hat. Er erscheint Ellis nachts in seinen feuchten, rot ausgeleuchteten Träumen. „Du musst verschwinden, French“, gibt er ihm als Ratschlag mit auf den Weg.

Die Ironie, dass ausgerechnet eine homophobe Institution wie die Armee für einen schwulen Mann zur Ersatzfamilie werden kann – weil die sexuelle Orientierung nicht zählt, solange man für sein Land zu sterben bereit ist – durchzieht „The Inspection“, der dank seines großartigen Hauptdarstellers auch über einen hintergründigen Witz verfügt.

Broadway-Star Jeremy Pope ist bereits ein hochdekorierter Bühnenstar, er wird auch im Kino seinen Weg machen. Popes verletzliches Spiel verleiht dem strikten Männlichkeitsregime eine feinnervige Durchlässigkeit. Ellis muss seine Identität verleugnen, um jemand zu sein, der er nicht sein möchte.

„Ich habe alles verloren“, erzählt er Rosales einmal unter Tränen, während der ihm seine Hand auf den Oberschenkel legt. „Wenn ich in dieser Uniform sterbe, sterbe ich als jemand.“ Elegance Bratton hat „The Inspection“ seiner Mutter gewidmet.

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