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© UBS

Theater: Faust auf Faust

Schwedt hat 37.000 Einwohner. Aber 145.000 Menschen gehen pro Jahr ins Theater. Eine Erfolgsstory.

Das weiße Licht der Scheinwerfer sticht grell in die Augen. Rammstein wummert aus den Boxen. Ein Schnitt, und Ferdinand erklärt Luise seine Liebe. Was zunächst aussieht wie ein Heavy-Metal-Konzert, ist tatsächlich eine Inszenierung von Schillers „Kabale und Liebe“ – für Schüler aufbereitet an den Uckermärkischen Bühnen in Schwedt. Im Saal sitzen an diesem Vormittag nur Jugendliche. Einige Stunden später werden es Senioren sein, die in Scharen die Revue „Bunter Weihnachtsteller“ besuchen. Und am Abend kommt der Rest der Stadt, um über die Komödie „Tom, Dick und Harry“ von Ray Cooney zu lachen. Theater in Schwedt: ein ganz normaler Dezembertag.

Dass es überhaupt ein Theater gibt in dieser Region, und dann noch ein so großes mit drei Sälen und 1260 Plätzen, grenzt an ein Wunder. Die Uckermark ist flächenmäßig der größte Landkreis Deutschlands, aber die Gegend ist landwirtschaftlich geprägt und dünn besiedelt. Viel gibt es nicht, womit Einheimische sich identifizieren könnten. Die industriellen Kerne, wie etwa das in den sechziger Jahren zum DDR-Vorzeigeobjekt ausgebaute Petrochemische Kombinat in Schwedt, sind nach der Wende zusammengeschrumpft. Was bleibt, ist eine schöne, leere, von Arbeitslosigkeit geprägte Landschaft. Wo sollen die Künste hier ihr Publikum finden?

Die Uckermärkischen Bühnen haben ihre Besucherzahlen von 86 000 in der Spielzeit 1990/91 auf jährlich 145 000 gesteigert. Die Zahl bleibt konstant, was bei schrumpfender Bevölkerung einem Zuwachs gleichkommt. Das Haus-Logo, ein kleingeschriebenes „ubs“, das wie ein Versprecher klingt, spiegelt nicht annähernd die Bedeutung wieder, die das Theater für die Region hat. Das Einzugsgebiet reicht vom Berliner Stadtrand bis nach Stettin.

Wer auf der schnurgeraden Lindenallee steht, hat die beiden Fixpunkte der Stadt im Blick. Am östlichen Ende erhebt sich das ehemalige Kulturhaus wie ein moderner Tempel, errichtet an Stelle des alten Markgrafen-Schlosses. Gegenüber leuchtet die ewig brennende Fackel, mit der die Restgase des aus Russland über die Druschba-Pipeline gelieferten Erdöls verbrannt werden. Die Raffinerie ließ die Einwohnerzahl der im Krieg zerstörten einstigen Barockstadt von 10 000 auf über 50 000 steigen. Schwedt war in den siebziger Jahren eine enorm junge Stadt.

Das ist gefühlte hundert Jahre her. Geblieben sind rund 37 000 Einwohner. Im ehemaligen Kombinat, das heute „PCK Petrolchemie und Kraftstoffe“ heißt, gibt es von einst 8000 Arbeitsplätzen noch 1000. Doch fatalistisch sind die Menschen nicht. Hier jammert keiner der DDR nach. Der pommersche Einschlag und die Nähe der Küste mögen ein Grund sein für den bodenständigen Charakter der Schwedter. Etwas von dieser Ruhe, gepaart mit Pragmatismus, spürt man auch bei dem gebürtigen Mecklenburger Reinhard Simon, seit 1990 Intendant des Hauses und einer der Hauptverantwortlich für das Schwedter „Theaterwunder“. Nach der Wende vereinigte er das alte Theater und das Kulturhaus zu einer Institution. Und weil die demographische Entwicklung schon Anfang der Neunziger abzusehen war, fackelte er nicht lange und setzte auf Vielfalt. „Wir wussten“, sagt er, „dass wir nur eine Chance haben, wenn wir unser Angebot und den Einzugskreis so weit wie möglich ausdehnen.“

Also bespielt das 15-köpfige Ensemble den großen Saal mit 860 Plätzen, den kleinen Saal (300 Plätze) und das intime Theater (100 Plätze). Dazu kommen der Berlischky-Pavillon, ein letztes Überbleibsel der früher „Perle der Uckermark“ genannten Barockstadt, und die im Sommer populäre Freilichtbühne im Park hinter dem Haus. Der Stolz der Bühnen sind die Klassikerinszenierungen von Shakespeare, Goethe, Schiller und Lessing. Seit zwölf Jahren läuft der „Faust“ in der Regie von Schauspieldirektor Gösta Knothe, seit sieben Jahren sind zu Ostern beide Teile -„Faust auf Faust“ - an einem Tag zu sehen: ein Ereignis, zu dem auch Berliner anreisen.

Das Rückgrat des Spielplans bilden jedoch Komödien und Musicals wie „Heiße Ecke“ oder Revuen wie der „Bunte Weihnachtsteller“: Die Show gehört seit 30 Jahren zum Repertoire. Die pädagogische Grundversorgung übernehmen die Schülervorstellungen und die jährlichen Schüler-Theatertage. Und die Seele des Hauses steckt nicht zuletzt in Sonderveranstaltungen wie dem Sachsentreffen oder dem Beatles-Festival, das der bekennende Popmusikfan Simon dieses Jahr zum zweiten Mal ausgerichtet hat.

Regietheater darf man hier nicht erwarten. Die Schwedter bekommen vor allem Unterhaltung geboten, „volkstümlich, aber nicht volkstümelnd“, wie Reinhard Simon es formuliert. In Richtung Hauptstadt schielt er nicht: „Die Berliner Regisseure interessieren sich auch nicht für uns. Und außerdem haben wir für Experimente keine Zeit.“ In Schwedt muss Theater sofort funktionieren.

www.theater-schwedt.de

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