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„Landschaft in der Auvergne“, von 1830

©  Musée du Louvre/ RMN-Grand Palais

Théodore Rousseau in Kopenhagen: Die unbezähmbare Landschaft

In Kopenhagen wird endlich der Maler Théodore Rousseau gewürdigt: als Wegbereiter der Moderne. Die Ny Carlsberg Glyptothek zeigt eine Übersicht seines Werks.

Im Jahr 1867 erreicht Théodore Rousseau den Zenit seiner Laufbahn. Er präsidiert der Jury für die Kunst-Beiträge zur neuerlichen Pariser Weltausstellung, wird zum Ritter der Ehrenlegion ernannt, erhält die Große Ehrenmedaille. Zuvor hatten zwei Kunsthändler, darunter der junge Durand-Ruel, ein umfangreiches Konvolut von Arbeiten aus seinem Atelier für die beachtliche Summe von 100 000 Francs erworben. Rousseau, der seit seinen Anfängen in den frühen 1830er Jahren Landschaften gemalt und gezeichnet hatte, gilt jetzt als unangefochtener Meister seines Fachs. Im selben Jahr 1867 stirbt Théodore Rousseau, der gesundheitlich nie ganz auf der Höhe gewesen war, im Alter von 55 Jahren.

Man kann darüber spekulieren, wie die Kunstgeschichte verlaufen wäre, hätte Rousseau länger gelebt und womöglich im Jahr 1874 an der ersten Ausstellung der Impressionisten teilnehmen können. Er hätte wohl teilgenommen, nicht allein, weil er ein Gigant war neben Neulingen wie Claude Monet, sondern weil er, wie Manet, zu diesem Zeitpunkt als Mitbegründer der Moderne erkannt worden wäre. So aber hat der vorzeitige Tod ihn um den verdienten Platz in der Kunstgeschichte gebracht, die ihn weder als akademischen noch als impressionistischen Maler führen mag.

Dabei ist Rousseau niemand, dessen Werk man noch entdecken müsste. 678 Gemälde verzeichnet der Œuvrekatalog von 1997. Nach seinem Tod fanden sich im Atelier Hunderte von Zeichnungen. Es läge im Grunde nahe, endlich eine Übersicht über sein Werk zu zeigen, doch, merkwürdig, nicht einmal der Pariser Louvre wollte sich dieser Aufgabe stellen. So kam es zu der Kombination des Getty Museums in Los Angeles mit der Ny Carlsberg Glyptothek in Kopenhagen, die eine Auswahl von reichlich 50 Werken auf Papier, Leinwand und Holz (!) zusammengestellt haben. Kuratorin Line Clausen Pedersen hat in Kopenhagen für eine sehr einfühlsame Präsentation gesorgt, ohne die herkömmliche Trennung in Arbeiten auf Papier und solche in Öl. Im Übrigen bewahrt die Ny Carlsberg Glyptothek allein acht Werke Rousseaus.

Atemberaubende technische Vielfalt, enorme Sensibilität

Deutlich wird die Souveränität, mit der Rousseau alle Grenzen zwischen Zeichnung, Vorstudie und Gemälde missachtet und zuweilen Gemälde schafft, auf denen die Vorzeichnung sichtbar bleibt, oder Zeichnungen, die er in Öl farbig höht. Und es wird sichtbar, wie einzelne Motive durch verschiedene Kompositionen wandern, auch über Jahrzehnte hinweg.

Denn Rousseaus Werk, bei aller Vielgestalt, ist zugleich konsistent. Werke der 1830er und der 1860er Jahre stehen gleichrangig nebeneinander. Nicht weil Rousseau immer schon „fertig“ gewesen wäre, sondern im Gegenteil, weil er immer ein Suchender bleibt, weil er experimentiert wie kein Zweiter. Er malt nicht en plein air wie später die Impressionisten; aber er ist der Erste, der nach Barbizon am Rande des Waldes von Fontainebleau zieht und die mächtigen, von Wind und Wetter zerklüfteten Baumriesen über bemoosten Felsen malt, nachdem er sie sorgsam skizziert hatte. Mit ihm ist Millet; doch Rousseau ist ein Romantiker, der das Spirituelle in der Natur findet, ohne es je auszusprechen.

Aber das steht in der Kopenhagener Präsentation nicht im Vordergrund. Es ist vielmehr die atemberaubende technische Vielfalt, die beständige Experimentierlust, die enorme Sensibilität, das Malmaterial zugleich als Ausdrucksträger einzusetzen. Rousseau nimmt eine Holztafel als Bildträger und lässt die Maserung frei, die seine geschwungenen Zeichenstriche überflüssig macht, er lässt Partien des Zeichenpapiers da frei, wo Helligkeit sein soll. Ihm genügen wenige Striche, um eine Landschaft zu charakterisieren. Dann wieder strichelt er mit der Tuschfeder, dass man Blätter von van Gogh zu sehen meint, und in der Tat hat sich der Holländer an den Malern von Barbizon orientiert.

Rousseau war im tiefsten Inneren nicht auf Vollendung aus

Eine große Kohlezeichnung mit energetischen Strichen hingegen weist auf die kommende Jahrhundertwende voraus. Und ein Gemälde auf rötlicher Leinwand lässt er zu einer Szene von Sonnenauf- oder -untergang werden, nur in den beiden Farben Rot und Grün gehalten. Dass Rousseau viele Jahre lang nicht zum Salon zugelassen wurde, kann man nachvollziehen; auch wenn sich nach 1850 das Blatt zu seinen Gunsten wendet, weil die Landschaft gegenüber der akademischen Historienmalerei mehr und mehr zu ihrem Recht kommt.

Das seltsamste Gemälde – zugleich sein größtes – hat der Maler bereits 1834 begonnen, wohl aber in den sechziger Jahren überarbeitet. Es zeigt in der Ferne das Massiv des Mont Blanc in stürmischem Wetter. Tatsächlich aber ist keine einheitliche Komposition zu erkennen, denn es handelt sich teils um eine Wolkenstudie, teils um eine Landschaftsskizze, und es vereint unterschiedliche Techniken sowie Stadien der Vollendung.

An diesem Bild begreift man, dass Rousseau in seinem tiefsten Inneren nicht auf Vollendung aus war – von Auftragsarbeiten für betuchte Kunden abgesehen –, sondern dass er den Prozess der künstlerischen Arbeit selbst zum Thema macht. Im Sinne der Moderne könnte man sagen, dass Rousseau die Vollendung des Bildes nicht mehr möglich war, weil er eine Totalität der Darstellung anstrebt, die auf der beschränkten Bildfläche nicht möglich ist. Der Beginn der Moderne muss anhand des Œuvres von Théodore Rousseau neu datiert werden.

Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptoteket, bis 8. Januar. Katalog (engl.) 249 DKK.

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