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Dirigent Christian Thielemann.

© Arno Burgi/dpa

Thielemann bei den Philharmonikern: Tanz der Teufel

Christian Thielemann nimmt mit den Berliner Philharmonikern Beethovens Eroica-Symphonie unter die Lupe und treibt sie in die Abstraktion.

Am Ende ruft er sie doch noch einzeln auf. Den fabelhaften Oboisten Lucas Macias Navarro (ausgeliehen vom Amsterdamer Concertgebouw Orchestra) und die übrigen Holzbläser Emmanuel Pahud, Wenzel Fuchs, Stefan Schweigert, auch die Hörner und die Trompeten. Bloß das Gesamtorchester zum Applaus aufstehen zu lassen, das hätte fast schon einen unfreundlichen Akt bedeutet. Zumal das Publikum jeden Hinweis darauf, wie sich die Berliner Philharmoniker denn nun mit Christian Thielemann vertragen, gerade besonders aufmerksam registriert. Der Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle zählt neben Andris Nelsons und Gustavo Dudamel zu den höchstgehandelten Nachfolge-Kandidaten für Simon Rattle. Im Mai wird gewählt; die Streicher, so heißt es, haben einen Faible für Thielemann.

Nun ergibt die Beinahe-Vernachlässigung der Solobläser nach dieser Eroica allerdings auch einen tieferen Sinn, beschwört Thielemann doch vor allem das Kollektiv und treibt es in die Ekstase. Sein schon beim Beethoven-Zyklus mit den Wiener Philharmonikern viel diskutiertes Extrem-Dirigat steigert er in Berlin ein weiteres Mal, mit radikalen Rubati, effektvollen Kontrasten und energisch akzentuiertem Pulsschlag.

Beethovens Dritte als Studie über den Schmerz. Bohrend in den Kopfsätzen, betäubend im Marcia Funebre, unerbittlich, verzweifelt. Thielemann kehrt die Gewalt hervor, die dem Schmerz innewohnt und rammt etwa die insistierenden Tonwiederholungen der Streicher im Kopfsatz wie Säulen in den Boden. Jeder Akkord ein Schicksalsschlag, und der Maestro als Vorarbeiter. Thielemann beugt sich weit vor, schaufelt mit langen Armen knapp über dem Boden, ruft die Geister von Strawinskys „Sacre“ herbei, zelebriert einen Teufelstanz. Und siehe da, es passt zu Beethovens kühner Harmonik.

Es ist eine überdeutliche und zugleich ungemütliche Eroica

Es ist die totale Verausgabung, die Unterwerfung unter das Diktat der Gemeinschaft bei gleichzeitig scharf konturierter Stimmführung: eine überdeutliche, ungemütliche Eroica. Thielemann und die Philharmoniker nehmen die totgespielte Symphonie unter die Lupe und treiben sie in die Abstraktion, mit den Forteschlägen im Kopfsatz ebenso wie mit dem täppisch vorgetragenen Pizzicato-Thema des finalen Variationssatzes, das die Sinfonie mit der Schlichtheit eines Kinderlieds unterwandert.

Gleichzeitig, auch das typisch Thielemann, rückt er Heros und Eros dicht zueinander. Mit dem weichen, warm timbrierten, diesmal nicht übertrieben schleppenden Streicher-Anfang des Marcia Funebre entfaltet sich aus der Schreckstarre heraus eine ungeahnte Zärtlichkeit. Das Gleiche geschieht bei den Decrescendi, mit denen der 55-Jährige immer wieder ein ehernes Forte ins Lyrische und ins Pianissimo-Nichts verschwinden lässt. Eben noch Gewitterwolkengebirge, gleich darauf betörend linde Lüfte – Thielemann ist ein Meister solcher Metamorphosen.

Man muss dem nicht folgen, mag es maniriert, zwanghaft, ja unsympathisch finden, Beethoven derart auf Maximalwirkung zu trimmen. Aber Thielemanns Unbedingtheit, seine bezwingende Manier, jeder Phrase Gewicht zu verleihen, bricht mit der Routine des Klassikbetriebs. Kulinarik, nein danke: Das Motto bestimmt den Abend schon vor der Pause, bei Liszts Symphonischer Dichtung „Orpheus“ und Henzes Nachtmusik „Sebastian im Traum“. Kräftiges Klangfarbenspiel, Oper in der Unterwelt, klar profilierte Traumgestalten - der Musiktheatraliker Thielemann lässt nichts im Ungefähren. Es ist übrigens sein 16. Programm seit seinem Philharmoniker-Debüt 1996. Am Donnerstag folgt das 17., mit Brahms’ Requiem.

Noch einmal am 18.1., 20 Uhr

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