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Letzter Auftritt. Der ausgestopfte Eisbär Knut, hier im Museum im niederländischen Leiden.

© picture alliance / dpa/ ROBIN VAN LONKHUIJSEN

Tierrechte: Martha Nussbaum entwickelt Maßstäbe animalischen Wohlbefindens

Die amerikanische Philosophin will auch Tieren dazu verhelfen, ihr Potenzial vollständig zu entfalten.

Postum kommt der Eisbär Knut noch zu philosophischen Ehren. Martha Nussbaum, eine der berühmtesten Denkerinnen der Gegenwart, nimmt Anteil an seiner Lebensgeschichte. Für sie ist Knut kein strahlender Medienheld, sondern Opfer einer Gesellschaft, die kein Interesse an der charakteristischen Lebensform von Eisbären gezeigt habe.

Von wegen Knut geht’s gut! „Der Zoo machte wenig Anstalten, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, was Eisbären wirklich sind und tun – und das aus offensichtlichen Gründen, denn Knut musste niedlich und ‚harmlos‘ sein, was Eisbären ganz und gar nicht sind.“ Mit Immanuel Kant ausgedrückt: Für den Zoologische Garten, seine Besucher und die Medien war Knut kein Zweck an sich, sondern ein reines Mittel.

„Gerechtigkeit für Tiere“ heißt das Buch, mit dem sich die Professorin der Universität Chicago einer Neuordnung der Beziehung zwischen Mensch und Natur widmet. Nussbaum betreibt Werbung für ihre eigene Theorie, indem sie zunächst drei abweichende Denkrichtungen vorstellt und sogleich verabschiedet. Der Utilitarismus disqualifiziere sich dadurch, dass er sich lediglich auf die Vermeidung von Schmerz und das Steigern von Lust konzentriere. Er verkenne damit das komplexe Wesen der Tiere.

Ebenso unbefriedigend findet sie alle Versuche, Tierrechte durch die Betonung der Ähnlichkeit bestimmter Arten mit dem Menschen zu begründen. Wer Primaten, Wale oder Elefanten privilegiert, wiederhole nur die religiöse Vorstellung einer hierarchischen Ordnung der Natur. Doch auch der streng an die Aufklärung anschließende Ansatz ihrer einstigen Doktortochter Christine Korsgaard vermag sie nicht zu überzeugen. Die Anwendung des Kategorischen Imperativs auf Tiere hält sie nicht für geeignet. Zu Metaphysisch, lautet das Urteil der praktischen Philosophin.

Ins Zentrum ihrer eigenen Moraltheorie stellt sie stattdessen drei Emotionen: Das Staunen über die spezifische Existenzweise eines Tiers, das durch seine prekäre Lage ausgelöste Mitleid mit ihm und den „Übergangszorn“, der zur Veränderung des unerträglichen Status Quo motiviert. Emotionen lehren den Menschen also, was gerecht ist. Aber kann das sein? Darf ein leidenschaftlicher Fuchsjäger nicht auch ein sehr reges Gefühlsleben für sich beanspruchen?

Wenn Nussbaum den Sinn für das Staunen „als eine Erkenntnisfähigkeit, die auf Würde ausgerichtet ist“, bezeichnet, behauptet sie nicht nur eine Kausalität zwischen der Beobachtung eines leidenden Tiers und dem Kampf für dessen Wohlergehen, sondern verpflichtet Menschen auch auf ein sehr spezifisches Empfinden. Kants „Was soll ich tun?“ kontert sie also mit einer Antwort auf die Frage „Was soll ich fühlen?“.

Nun gut, was aber ist gerecht? Nussbaum bezieht sich einmal mehr auf Aristoteles, der allen Lebewesen ein Streben nach der Entfaltung ihrer Potenziale zuschrieb. Gerechtigkeit wäre also dann installiert, wenn Tiere hierbei nicht gehindert würden. Die Kriterien zur Beurteilung dessen hatte die Autorin bereits in der Schublade.

In den Achtzigerjahren entwickelte sie mit dem späteren Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen den sogenannten „Fähigkeitenansatz“ (Capability Approach), der die Gestaltungsmöglichkeiten von Individuen zum Maßstab der Entwicklungshilfe erhob. Die zehn Kategorien des Katalogs (darunter „Leben“, „Körperliche Gesundheit“, aber auch „Spielen“ und „Kontrolle über die eigene Umwelt“) bezieht Nussbaum nun unverändert auf Tiere, und fordert, diese sollten sie vor Gerichten einklagen können. Den Menschen fiele dementsprechend die Aufgabe zu, sie juristisch zu vertreten.

Nussbaum weist selbst daraufhin, dass dies nur gelingen kann, wenn genügend Informationen über die Bedürfnisse von Tieren vorliegen. Doch auch in diesem Falle droht humaner Paternalismus. Allzu überzeugend erscheint ihre Distanzierung vom Bild einer Schöpfungsleiter mit dem Menschen an der Spitze nicht, wenn sie ein Konzept zur Einschätzung individueller Lebensqualität kurzerhand auf Tiere überträgt und dem Menschen zutraut, beurteilen zu können, was ein Hummer, eine Ameise oder eine Schlingnatter benötigen und was ihnen zusteht.

Der Philosoph Thomas Nagel, den Nussbaum in ihrer Danksagung erwähnt, hat in einem berühmten Essay die These vertreten, man könne alles über eine Fledermaus wissen, jedoch niemals, wie es sei, eine Fledermaus zu sein. Wenn das zutrifft, kann Nussbaums Ansatz Tieren höchstens Rechte verschaffen, ihnen aber kaum gerecht werden.

Erfreulich in ihrer Konkretheit sind gleichwohl ihre Handlungsempfehlungen für den Hausgebrauch: Fleisch essen? Nein. Fisch? Ja, wenn schmerzfrei getötet. Schädlinge wie Ratten töten? Ja, aus Notwehr. Zoo besuchen? Nein. Haustier einschläfern? Nur, wenn das Tier erheblich leidet. Nicht um Geld für eine Behandlung zu sparen!

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