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KUNST Stücke: Tischsitten

Claudia Wahjudi schaut fremden Familien in die Kaffeetassen

Wer wird all diese Leuchter, Gläser, Tassen, Decken, Lampen, Sessel erwerben? Und sehen sie wirklich so aus, wie der Kunde sie sich wünscht? Wir werden es nie erfahren, und doch wird die Welt des Designs in den kleinformatigen Schwarzweißfotografien, die Annette Kisling in der Galerie Kamm zeigt, ziemlich übersichtlich. Kisling hat in Paris 2007 Schaufenster von Geschäften für Inneneinrichtungen aufgenommen. Bisher ließ die Berliner Fotokünstlerin zumeist Nachkriegsarchitektur vom Zusammenleben der Menschen erzählen, oft in irritierend engen Ansichten von Hauswänden oder -eingängen. Mit ihrer neuen Serie „Les Vitrines“ tastet sie sich jetzt in das Innere von Häusern und zugleich in deren Umgebung vor: In den Fenstern spiegeln sich Pariser Fassaden des 19. Jahrhunderts, Passanten und kugelige Kleinwagen. Sachlich verdichtet Kisling so Außen und Innen, Straße und Wohnung. Leuchter, Gläser, Decken und Sessel aber erzählen von den Erwartungen an das Innen. Umhüllt wird der Bürger von weichen Stoffen und soll, mal modisch aktuell, mal gediegen, Geschmack und Status zeigen – vor allem am gedeckten Tisch, von dem sich die Gäste, so verlangen es die Sitten, ja nicht einfach erheben dürfen (bis 9. August, Rosa-Luxemburg-Str. 45).

Das gute Geschirr steht bereit, die Tochter des Hauses schenkt Kaffee ein. Und ist so unglücklich wie wütend. Wenn sie die Gäste perfekt bedient, taugt sie als Braut des jungen Mannes, dessen Eltern gerade um ihre Hand anhalten. Die Tochter aber will nicht heiraten. Nezaket Ekici brauchte nur Vaseline und Kaffee, um die Szene, die in einer Familie mit türkischem Hintergrund spielt, lebendig zu machen. Mit der Creme schrieb sie die Gedanken der Tochter auf vier Leinwände und schöpfte das Getränk so lange darüber, bis das dunkler werdende Braun die Fettschrift sichtbar machte. Damit hat sich die Berliner Performancekünstlerin, die auch mit Installation, Video und Fotografie arbeitet, nun das Genre Tafelbild erschlossen. Zur Eröffnung ihrer Ausstellung in der DNA-Galerie ließ sie zudem heißes Wachs rußiger Altarkerzen auf ihre Haut und ihr weißes Kleid tropfen: „Madonna“, so der Titel der Performance, war nicht länger unbefleckt. Sehr pathetisch wirkte das. In den Schriftbildern aber blitzt der Schalk vieler ihrer früheren Performances wieder auf. Liest sich die Erzählung anfangs wie ein Klischee über Zwangsheirat, so hält sie später überraschende Details bereit, die hier nicht verraten werden sollen. Nur so viel: Das Kaffeeritual, dem sich die Tochter schon öfter unterzogen hat, ist in diesem Fall wohl weniger ergebnisorientiert denn ein Tribut an vermeintlich gute Sitten (bis 9. August, Auguststr. 20).

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