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Tote-Hosen-Sänger Campino in der Waldbühne Berlin.

© DAVIDS/Christina Kratsch

Toten Hosen live in Berlin: Wenn Gutes passiert

Das Kollektiv singt und springt: Die Toten Hosen haben in der Berliner Waldbühne die Sommerkonzertsaison eröffnet. Ihr zweites Konzert wurde abgesagt.

Die Frage des Abends: Werden sie den Vorfall im Dresdner Freibad ansprechen? Dass sie da neulich nachts eingestiegen sind und später Ärger bekamen, und dass sich ja übrigens nicht weit entfernt von der Waldbühne ebenfalls ein Außenbecken befindet? Wird Campino das irgendwie erwähnen?

Die Antwort: gefühlte zwölf Mal. Falls es zu dem Thema eine bislang unerzählte Witzvariante gab, ist sie jetzt nachgeholt. Und doch lachen die Fans selbst dann noch, als Campino gegen Ende, also nach der zehnten Zugabe, schelmisch vorschlägt, man könne doch im Anschluss im Olympiabad weiterquatschen – so viel Zuneigung erfüllt an diesem Abend die Waldbühne.

Band und Fans haben sich nicht lange vermisst. Das letzte Berlinkonzert der Toten Hosen liegt erst sechs Monate zurück. Tatsächlich wirken alle Beteiligten von Beginn an wie eins. Wie Freunde, von denen nur zufällig fünf oben auf der Bühne herumhüpfen statt unten in der Masse. Und die Lieder, die gespielt werden, scheinen allen zu gehören. „Wenn hier heute Gutes passiert, werden wir uns lange daran erinnern“, prophezeit Campino früh.

Es passiert dann viel Gutes. Auch im 37. Jahr ihres Bestehens verbergen die Toten Hosen jede Routine, wollen ihre Hits nicht runterspielen, sondern rausballern. „Wünsch Dir was“, „Liebeslied“, „Halbstark“. Als ob es so einen Abend kein zweites Mal geben wird, ja gar nicht geben kann. Fans fordern „Eisgekühlter Bommerlunder“. Ob sie diesen Klassiker heute bringen? Erst mal einen Freibad-Scherz.

Die Band und ihre Fans - eine Wertegemeinschaft

Auf dem Level der Vertrautheit, auf dem sich diese langjährigen Musiker und diese langjährigen Musikhörenden mittlerweile befinden, braucht man sich nichts vorzumachen. Kein Gepose. Hosenkonzert ist, wenn Campino sagt, er spiele so gern bei Tageslicht, weil er dann sofort sieht, wenn beim Pogen jemand zu Boden fällt und die Umstehenden ihm gleich aufhelfen. Hosenkonzert ist, wenn zwar Bengalos brennen, das aber nicht schlimm ist, weil sie von Sicherheitspersonal kontrolliert am Seitenrand abgefackelt werden, als Kunstnebelersatz. Hosenkonzert ist, wenn Tausende ihre Arme in die Luft reißen und beteuern „Ich bin kurz davor, durchzudrehen“, und man genau weiß, dass hier keiner durchdrehen wird, außer in harmlos.

„Alles aus Liebe“, „Unsterblich“, „Sascha“. Die Toten Hosen und ihre Fans bilden auch eine Wertegemeinschaft. Dazu gehört das Engagement gegen rechts, für Toleranz und Weltoffenheit. Früher fanden das manche pathetisch, suchten Distanz zu so viel Gutmeinerei und Rumgemenschel. In Zeiten massiver Angriffe von rechts sind diese Stimmen verschwunden. Bela B. von den einst rivalisierenden Ärzten hat den Düsseldorfern mal ein vergiftetes Kompliment gemacht: „Die Hosen sind wichtig, denn so gibt es im Betroffenheitsrock wenigstens eine Punk-Band.“ Ganz falsch war das nicht, bloß damals noch ironisch gemeint.

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Über der Bühne hängt das Logo der Band. Ein comichaftes Vogelskelett, das soll der verrottete Bundesadler sein. Es gehört ja zur DNA des Punks, Außenseitertum und Dagegensein zu zelebrieren. Diese Band und ihre Generation sind heute aber Wertebewahrer. Demokratieverteidiger. Als Farid Bang und Kollegah vor zwei Monaten in Berlin für ihren Antisemiten-Rap einen Echo bekamen, war es Campino, der sich als Einziger hinstellte und dagegen anredete. Das braucht Überwindung. Das nennt man Courage.

„Laune der Natur“, „Unter den Wolken“, „Wannsee“. Auch die Stücke aus ihrem neuesten Album gehören bereits zum vertrauten Hosenkosmos, sind kanonisch geworden. Könnten komplett vom Kollektiv gesungen werden, sollte das wichtigste Mikro ausfallen.

Das Herumgehüpfe wirbelt den staubigen Boden auf. Auf den Monitoren sieht man Campino maximal schwitzen. Dieser Sommerabend ist auch eine Verheißung auf Kommendes. Denn zum Glück hat die Draußensaison erst begonnen. Schon Samstagabend spielen an selber Stelle die Beatsteaks, mit Tocotronic als Vorband, was gar nicht so kurios ist, wie es auf dem Papier klingt. Dazu bietet sich die seltene Gelegenheit, dass Dirk von Lowtzow und die Beatsteaks gemeinsam „French Disko“ spielen, das Lied, das sie vor zwei Jahren zum „Tschick“-Soundtrack beigesteuert haben. In den nächsten Wochen folgen Pearl Jam, Nick Cave und Depeche Mode in der Waldbühne, in der Wuhlheide spielen die Beginner und noch mal Beatsteaks. Und immer wieder sind es dieselben Lieder, die sich anfühlen, als würde die Zeit stillstehen.

Campino könnte locker "Wetten, dass..?" moderieren

Auch die Toten Hosen wollten dieses Jahr eigentlich zwei Konzerte in Berlin geben. Direkt hintereinander. Doch das am Freitag fällt aus. Am Morgen nach dem ersten Konzert wird bei Campino ein Hörsturz diagnostiziert. Sie wollen nächste Woche einen Nachholtermin bekannt geben.

Bei ihrem Auftritt  Donnerstagabend werden die Toten Hosen zeitweise von vier Streichern unterstützt. Dem Michael-Gorbatschow-Gedächtnis-Quartett. Sie haben sich in Düsseldorf kennengelernt. Eigentlich sollen die Streicher nur ein paar Hosensongs verschönern. Aber dann sagt Campino, die Instrumente seien viel zu edel für das Gerumpel, und bittet um ein bisschen Mozart. „Für alle Freunde der Ästhetik“, sagt er, und bekommt einige Takte „Kleine Nachtmusik“. In diesem Moment wirkt er wie Thomas Gottschalk zu dessen besten Zeiten. Campino könnte locker „Wetten, dass..?“ moderieren, und niemand würde es ihm krummnehmen.

„Pushed again“, „Paradies“, „Wort zum Sonntag“. Hosenkonzert ist, wenn Grauhaarige crowdsurfen. Und natürlich spielen sie auch „Eisgekühlter Bommerlunder“.

An diesem Abend fällt auf, wie sehr sich die Hosen mit der Zeit als solcher beschäftigen. Mit Vergänglichkeit und Erinnerungen. „Der letzte Sand fällt durch die Uhr“ ... „Wie viel Jahre kann das so weitergehen?“... „An Tagen wie diesen wünscht man sich Unendlichkeit“ ...

Wenn man als Punkband würdevoll altern kann, dann machen es die Toten Hosen gerade vor. Wie herzzerreißend und unvergesslich muss es erst sein, wenn sie irgendwann, hoffentlich erst in 20 Jahren, tatsächlich einmal ihre Abschiedstournee geben. Man will sich jetzt schon Karten für jedes einzelne Konzert sichen.

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