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Kultur: Trampeltier im Lego-Land

Am 1.März 1954 kam es auf dem westpazifischen Eniwetok-Atoll beim Nukleartest "Bravo short" zu einer allerdings einkalkulierten Panne: Die radioaktive Wolke senkte sich erst auf eine besiedelte Insel, dann den außerhalb der Sperrzone fahrenden japanischen Fischdampfer "Glücklicher Drache".

Am 1.März 1954 kam es auf dem westpazifischen Eniwetok-Atoll beim Nukleartest "Bravo short" zu einer allerdings einkalkulierten Panne: Die radioaktive Wolke senkte sich erst auf eine besiedelte Insel, dann den außerhalb der Sperrzone fahrenden japanischen Fischdampfer "Glücklicher Drache".Bei der Heimkehr litt die Mannschaft an der Strahlenkrankheit, binnen kurzem starb der erste.Nach Hiroshima und Nagasaki war dies gewissermaßen die dritte atomare Attacke, der sich Japan ausgesetzt sah.

Der Vorfall löste in der Weltöffentlichkeit erbitterte Politdebatten aus, fand aber auch künstlerischen Niederschlag, wie er gegensätzlicher kaum sein könnte: Fürs bundesdeutsche Radio dichtete Wolfgang Weyrauch sein poetisches Hörspiel "Die japanischen Fischer" (Erstausstrahlung 24.Mai 1955), das sanft mahnend schloß: "Seid wachsam, ihr!" In Japan selbst hatte man schneller reagiert: Am 3.November 1954 war der bis dahin teuerste japanische Film in die Kinos gekommen, ein Katastrophenspektakel um eine rätselhaft dem Meer entstiegene, Mythos und Gegenwart verquickende Gefahr.Ihre ersten Opfer: Fischer, die sich, wenn überhaupt, nur radioaktiv verseucht retten können.Ihr Name: Godzilla.

Seither ist das schuppige Urvieh japanischer Produktion rund zwei dutzendmal über die Leinwand getrampelt.Am 10.September ist es mit Roland Emmerichs Film, dem ersten Hollywood-Godzilla, auch hierzulande wieder soweit, doch schon jetzt brandet dessen Bugwelle durch Kinos und Buchhandlungen.Eigens wurde der Pranke Filmverleih gegründet, der in den nächsten Wochen ein gutes Dutzend Godzilla-Variationen aus der wichtigsten japanischen Monster-Fabrik Toho durch bundesdeutsche Programmkinos schickt (In Berlin: "Moviemento" und "Blow up", 30.Juli - 19.August; Infos unter Tel.030 / 442 87 70).Schon hat der Münchner belleville-Verlag "ein (liebevoll subjektives) ultimatives Japan-Riesenmonster-Science-Fiction Filmbuch" vorgelegt, in dem der Berliner Trash-Filmer Jörg Buttgereit mit "Freunden" das Hohelied der Nippon-Saurier singt, ein detaillierter, leider allzu flapsig formulierter und mit Pennäler-Erinnerungen angereicherter Nachschlageband zu dem in Japan Kaiju Eiga genannten Genre ("Monster aus Japan greifen an.Godzilla, Gamera & Co." 180 Seiten, 39,80 Mark).Der Berliner Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag schlägt in wenigen Wochen mit einer ähnlich strukturierten, auf den Reptilienfonds deutscher Verleiher beschränkten, dafür geradezu monströs illustrierten "Geschichte der japanischen Monsterfilme" zurück, bienenfleißig zusammengestellt von dem Godzilla-Sammler Detlef Claus und erfreulich präzise kommentiert von dem Filmhistoriker Rolf Giesen, Leiter der Special-effects-Sammlung der Stiftung Deutsche Kinemathek ("Godzilla, Gamera, Gappa." ca.214 Seiten, 38 Mark).Weiterhin belegen erste Godzilla-Partys den Kultcharakter des Trampeltiers, und in einschlägigen Läden wie dem Kreuzberger "Groben Unfug" stapeln sich die Merchandising-Produkte, Plakate, Trading-Cards und vor allem Monsterpuppen.

Godzilla & Co.- die Monster fürs kindliche Gemüt? Bekenntnisse, wie es einer von Buttgereits Gastautoren ablegte ("Erbarmungsloser Godzilla-Komplettist.Kauft alles.Ließ als 19jähriger die Hausschildkröte seiner Ex-Verlobten über die brennende Modelleisenbahnanlage fliegen."), scheinen dies zu bestätigen.Die Anspielung des Ur-Godzillas auf die atomare Gefahr deutet aber an, daß es in dem damals begründeten Filmmythos zumindest anfangs um mehr ging als das Ausleben infantiler Zerstörungsphantasien im Lego-Land.Führende Godzillologen wie auch ernsthafte Filmhistoriker, zwei sich überschneidende Teilmengen, stimmen darin überein, daß das in seiner Karriere so ziemlich alle japanischen Großstädte (außer Hiroshima und Nagasaki) heimsuchende Untier als Projektion des atomaren Traumas zu begreifen sei.In einer unterseeischen Höhle, so die Fabel, habe Godzilla überlebt, bis ein Atombombenversuch ihn aufstörte - und zugleich radioaktiv verseuchte.

Erfunden hat die japanische Filmindustrie diese Form der Trauerarbeit aber nicht."Godzilla" kopierte die Story des US-Films "The Beast from 20 000 Fathoms", einer Billigproduktion, die 1953 einen sensationellen Erfolg verbuchte.Wiederum hatte ein A-Bombentest einen urweltlichen Giganten aus dem Tiefschlaf geweckt, der sich über New York hermacht wie ein Jahr später sein japanischer Doppelgänger über Tokio.Der Film wurde geradezu zum Urknall für eine ganze Serie von Produktionen, in denen radioaktiv gezeugte Monster die Menschheit bedrohen.Nur blieb es eben ein Unterschied, ob ein zur Siegernation gehörendes Publikum, das die atomare Bedrohung nur abstrakt erfahren hatte, das Gruseln suchte oder aber die in Grund und Boden gebombten, unter den Folgen der Nuklearangriffe noch immer leidenden Japaner.

Darüberhinaus erscheint "Godzilla" - Regisseur Ishiro Honda sollte der Bestie noch sieben weitere Male zur Seite stehen - geradezu als Kompensation der japanischen Niederlage wie auch als Manifestation neuen Selbstbewußtseins der wieder erstarkenden Industrienation.Nur neun Jahre nach Kriegsende muß die Feuerkraft von Nippons Marine und Heer, wenngleich sie gegen einen wie Godzilla wirkungslos bleibt, zumindest überraschen.Auch steht der finale Einsatz des Forschers Dr.Serizawa, der sein Wissen um die grauenhafte Waffe des "Oxygen-Zerstörers" mit ins nasse Grab nimmt, deutlich in der Tradition des Kamikaze-Opfertodes.Amerikanisches Kriegsgeschick hat die Bescherung angerichtet, japanisches Genie räumt damit selbstlos wieder auf.

Ein Grundmuster des Genres ist hier vorgezeichnet: So grauenvoll ein Monster auch sein mag, es gibt immer noch grauenvollere Möglichkeiten, es unter Kontrolle zu bringen.Eine Spirale der Gewalt hat ihre erste Drehung vollzogen, Beginn eines Wettrüstens, das nun Film für Film, der Hydra des Herkules nicht unähnlich, immer neue Schrecken gebiert.Die Kunst des Überlebens besteht allein darin, die Ausgeburten der Hölle gegeneinander auszuspielen, sich des richtigen, letztlich guten Monsters zu bedienen.Godzilla wird dabei die Seiten wechseln, und die Inkarnation des Atomtods, die er bedeutete, zur Metapher für die Beherrschbarkeit der vom Menschen geweckten Urkräfte mutieren.Atomenergie - ja bitte.

Angesichts dieser Glorifizierung der Technik überrascht es, daß sich das Trickverfahren seit 1954 kaum weiterentwickelte.Aus Kostengründen hatte man sich für einen Darsteller im Gummianzug entschieden, der in Modellandschaften herumtrampelte, und so ist es geblieben.Trotz aller Aufrüstung haftete Godzilla damit etwas fast rührend Kinderzimmerhaftes an, eine Ahnung von langen Bastelabenden, zu denen immer auch das lustvolle Niederreißen der mühsam aufgebauten Bauklotzkunst gehörte.Emmerichs Godzilla dagegen kommt nur noch aus dem Computer."Das Kind im Manne, die naive Freude an der Modelleisenbahn ist endgültig zerstört", interpretiert Rolf Giesen den filmhistorischen Einschnitt.Da selbst die Kinder Schere und Klebstoff überwiegend zur Seite gelegt haben und lieber virtuell auf dem Bildschirm basteln, ist das nur konsequent.

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