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Kultur: Traumtat, Tattraum - Ein Finne in Berlin

Ein alternder Schriftsteller hat noch kein Buch veröffentlicht. Er wohnt bei seiner Mutter.

Ein alternder Schriftsteller hat noch kein Buch veröffentlicht. Er wohnt bei seiner Mutter. Eine junge sächsische Big-Mac-Verkäuferin hat einen Freund, der Kick-Boxer werden will. Im Zentrum seines Weltbildes stehen viele andere Kickboxer sowie das Deutsche Sportfernsehen. Die Big-Mac-Verkäuferin ist ein Gestirn auf irgendeiner äußersten Umlaufbahn des Kickboxer-Universums. Welche sächsische Kickboxer-Freundin (vollkommen: Franka Potente!) möchte dauerhaft ein Gestirn auf einer äußersten Umlaufbahn sein? Welcher Autor über 50 ohne Buch (wunderbar melancholisch: Axel Werner) hat nicht schon davon geträumt, von zu Hause wegzulaufen?

Es wird viel geträumt in diesem Film. Das ist Realismus. Denn der Glaube, wir lebten in der Wirklichkeit, ist ein weit verbreitetes Missverständnis. Kein Mensch lebt in der Wirklichkeit. Wer sollte das auch aushalten? Jeder lebt in seinen Träumen. Hier, in dem Erstlingsfilm des jungen Finnen Hannu Salonen, wird der Traum allerdings Tat. Artsi, einem anderen jungen Finnen, der davon träumte, in Berlin Musiker zu werden, begegnen wir genau in dem Augenblick, als er schon hier ist. Und schließlich vor der sächsischen Big-Mac-Verkäuferin steht. Er zählt lange das fremde Geld, da lädt ihn eine Träumerin zur Pizza ein. Bis vor ein paar Stunden war sie noch eine verstaubte Nippesfigur. Ich stand rum, sagt sie später, im Haus meines Mannes. Und verstaubte. Nie wieder Nippesfigur!, denkt die Frau. Nie mehr Kickboxer und Deutsches Sportfernsehen!, denkt die sächsische Big-Mac-Verkäuferin in Berlin und kassiert. Da dreht die Nippesfigur sich um und sagt leise: Ich habe meinen Mann verlassen! Noch wissen wir nichts über die Trauer der Kickboxer.

Auf solche Augenblicke versteht sich Hannu Salonen. Episodenfilm ist ein recht verfehlter Name für solches Kino ("Magnolia", "Nachtgestalten"!), in dem der Regisseur kein Geringerer als das Auge Gottes ist. Und wir sind es mit ihm. Wir sehen Menschen zu, die wir schon kennen, bevor sie sich das erste Mal begegnen oder sich das erste Mal verlieren. Wir halten die Fäden.

"Downhill City" erreicht die atmosphärische Dichte von "Nachtgestalten" nicht. Aber es ist ein schöner, sensibler und kraftvoller Film das Leben, das nicht lebt und dann plötzlich doch beginnt, ganz tief Atem zu holen.Blow up, Central, Moviemento

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