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Kultur: Über Weisheit diskutiert man nicht

Wie vergänglich ist doch Ruhm. In den sechziger Jahren, als ihm erst der "Kritikerpreis" zugesprochen und ihm dann auf Betreiben Wilhelm Weischedels und Theodor W.

Wie vergänglich ist doch Ruhm. In den sechziger Jahren, als ihm erst der "Kritikerpreis" zugesprochen und ihm dann auf Betreiben Wilhelm Weischedels und Theodor W. Adornos die Philosophische Fakultät der Freien Universität Berlin ihre Ehrendoktorwürde verlieh, war sein Name ein Begriff, zumindest in dieser Stadt. Das lag an der Situation Berlins und des Tagesspiegels, in dem Hans Kudszus regelmässig publizierte. Seit Mai 1947 erschienen seine meisten Beiträge in dieser Zeitung - essayartige Dinge über philosophische Themen und knappe Betrachtungen, die sich immer mehr verdichteten. In den letzten Jahren war der Aphorismus die eigentliche Äusserungsform von Hans Kudszus, der im April 1977 gestorben ist. Wobei die Niederschrift ihn oft länger beanspruchte als manche Aufsätze von vielen Seiten.

Wiederum ein Vierteljahrhundert später ist der Name Hans Kudszus wieder so unbekannt, wie er es in den Vorkriegsjahrzehnten gewesen war. Damals hatte er nach einem (abschlusslosen) 18-semestrigen Studium der Theologie, der Philosophie, der Klassischen Philologie und der Mathematik als Versicherungsmathematiker bei der "Berlinischen Lebensversicherung" ein Unterkommen gefunden. Zwölf Jahre gingen ihm dann während der Hitler-Zeit verloren, aber es war doch im Grunde nur ein Umweg zu jener philosophischen Existenz, die er seit dem Beginn der 30er Jahre angestrebt hatte. Seine ersten Aufsätze schrieb er dann für die "Deutsche Allgemeine Zeitung" - auf Betreiben des befreundeten Publizisten Bruno E. Werner, der nach dem Krieg durch seinen Roman "Die Galeere" und als Feuilletonchef der Münchner Ausgabe der "Neuen Zeitung" bekannt wurde. An diese Zeit knüpfte Hans Kudszus im Tagesspiegel an, wohin ihn dessen Mitherausgeber, sein alter Kriegskamerad Walther Karsch, geholt hatte, und der ihm die Treue hielt, als den anderen Herausgebern seine unendlich langen Aufsätze zu abgelegenen Themen allmählich auf die Nerven gingen. Kudszus war immer ein Aussenseiter, musste von seinen Freunden auch dem eigenen Blatt gegenüber verteidigt werden.

Oft genug hatte innerhalb der Herausgeberkonferenz dessen Vorsitzender Franz Karl Maier seine Rolle zu reduzieren versucht. Er bezweifelte wohl zurecht, ob sich für Betrachtungen über Heinrich Scholz, Werner Jaeger und Nicolai Hartmann viel mehr als ein Dutzend Abonnenten des Blattes interessierten. Auch Walther Karsch verstand von der Philosophie nicht sonderlich viel, aber der ehemalige "Weltbühnen"-Mitarbeiter, der nach der Verhaftung Carl von Ossietzkys der letzte verantwortliche Redakteur des Blattes gewesen war, ließ in der Verteidigung der Würde einer Zeitung nicht nach, die nicht nur nach Popularität gehen dürfe.

Was für Zeiten, als in der täglichen Konferenz Erik Regers Verfügung zu Disputen führte, ob in Fortsetzungsromanen das Wort "Bett" oder "Sofa" seiner Unsittlichkeit wegen nicht verwendet werden dürfe. In einem Falle fand man die salomonische Lösung, dass an die Stelle des "Bettes" das Wort "Chaiselongue" gebracht werden könne, was aber einer langen Korrespondenz mit dem Autor des Romans bedurfte. Alte Tagesspiegel-Zeiten, als der vorgesehene Fortsetzungsroman am Vortag das Abdruckbeginns wegen Copyright-Schwierigkeiten nicht gebracht werden konnte und innerhalb einer Stunde Ersatz beschafft werden musste. Der damalige Feuilletonchef (und Autor dieser Zeilen) beschloss, Theodor Fontanes zu jener Zeit weithin vergessenen "Stechlin" als neuen Fortsetzungsroman zu drucken, übrigens mit erstaunlichem Erfolg. In dieser Atmosphäre erschien das unter Qualen zustande gebrachte Lebenswerk von Hans Kudszus, das damals niemand ein "Werk" genannt hätte. Der Tagesspiegel aber ließ es zu, und er feierte seinen weithin unbekannten Mitarbeiter - zum Redaktionsmitglied allerdings brachte es Hans Kudszus nie.

Jetzt ist im kleinen Kölner Matto Verlag eine neue Auswahl der Aphorismen von Hans Kudszus erschienen, herausgegeben von Albrecht Pfundt, vorgestellt von dem alten Kudszus-Verehrer Dieter Hildebrandt und mit Zeichnungen versehen von Alfonso Hüppi, deren artifizielle Primitivität aber einen eigenen Zugang verlangt. In dieser Sammlung sind Dinge enthalten, die man in noch nicht einmal einer Minute liest und die einen für Stunden ins Grübeln versetzen, was Hans Kudszus als eigentliche Auszeichnung verstanden hätte. Kudszus Denken spiegeln Sätze wie "Autorität verliert/ wer sie beansprucht" oder: "Über Wahrheiten diskutiert man, über Weisheiten sinnt man. Jenen gehört der Dialog, diesen der Monolog."

Fraglich, ob es je auch zu einer vergleichbaren Sammlung der philosophischen Essays von Hans Kudszus kommen wird. Es wäre die Wiederbegegnung mit jenen Rezensionen nicht nur über Karl Jaspers und Martin Heidegger, sondern auch über Karl Popper und Max Horkheimer, über die Adorno schrieb, er wüsste heute keinen anderen Menschen nicht nur von solcher "eminentesten philosophischen Bildung und dem subtilsten Verständnis, sondern auch von einer wahrhaft geistigen Produktion". Diese Rezensionen waren über die Würdigung fremder Denkprozesse hinaus auch eine Einführung in eigenes Denken, und in diesem Sinne war Hans Kudszus wahrscheinlich der Lehrer von vielen, die seinen Namen längst vergessen haben.

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