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Kultur: Unter dem Vulkan

Der Episodenfilm „Ten minutes older. The Cello“ mit Beiträgen von Godard, Bertolucci, Schlöndorff und anderen

Dass wir alle zehn Minuten genau zehn Minuten älter werden, weiß jeder. Kaum einen beunruhigt das. Zum ersten Mal fassten zwei Tschechen Mitte der Sechzigerjahre den Plan, diese zehn Minuten einfach festzuhalten. In lauter Zehn-Minuten-Filmen. Damals ist das nichts geworden, aber vor einem Jahr kam „Ten minutes older. The Trumpet“ ins Kino. Und „Ten minutes older. The Cello“ ist jetzt schon die Fortsetzung, mit Beiträgen von unter anderem Bernardo Bertolucci, Mike Figgis, Jiri Menzel, Istvan Szabo, Claire Denis, Volker Schlöndorff, Michael Radford und Jean-Luc Godard.

Das verbindende Instrument, der Pausenfüller zwischen allen zehnminütigen Zeitstillständen, ist also das Cello, nicht die Trompete. Trotzdem scheint das Klavier das eigentliche Instrument für Vergänglichkeit zu sein, denn es kommt in erstaunlich vielen Filmen vor, aber nie ein Cello und auch keine Trompete.

Die auffälligsten Philosophen sind Claire Denis und Volker Schlöndorff. Der größte Aufseufzer ist Jiri Menzel, Bernardo Bertolucci ist der größte Buddhist, und dann gibt es noch die Ausnahmen. Die alten Männer, die zehn Minuten, um mal ein anderes Instrument ins Spiel zu bringen, wie Paukenschläge inszenieren. Die Paukenschläger sind Jean-Luc Godard und Istvan Szabo. Szabos Film heißt „Zehn Minuten später“ und der von Godard „Die letzten zehn Minuten“. Beide verraten sich als Apokalyptiker und wir bekennen, diese beiden mit Abstand am besten zu finden. Sie sind auch die kinohaftesten. Szabo hat gar in einer einzigen Einstellung gedreht.

Während der Sentimentale eher philosophische Reflexionen bevorzugt, weiß der Apokalyptiker, dass nach zehn Minuten manchmal nichts mehr ist, wie es vorher war. Und dabei läuft im Fernsehen noch immer derselbe Englisch-Sprachkursus. Am Anfang, als die Ehefrau den Kaffeetisch für zwei deckt, lernen wir gerade den Satz „Großmutter kauft Fische auf dem Markt“, nicht mal zehn Minuten später – in der Torte steckt der Abdruck der Faust des Ehemanns, sein letztes Lebenszeichen – ist der Sprachlehrer bei der korrekten Übersetzung der Frage, was die Pompeijer vorm Ausbruch des Vesuvs gedacht haben. Zehn Minuten vorher? Es waren dann also die letzten zehn Minuten der Pompeijaner, und wenn man Jean-Luc Godards Film sieht, weiß man, dass wir alle Pompeijaner sind. Unsere letzten Minuten sind längst angebrochen.

Unter den Philosophen und Meditatoren der Zeit fällt vor allem Claire Denis auf, die einen Philosophieprofessor und seine Studentin einen mustergültigen intellektuellen Diskurs über die Fremdheit, Freud und das Eindringen führen lässt, wie er sich nur im französischen Kino ereignen kann. Im fahrenden Zug vor vorbeiziehender Landschaft und in Originalzeit. So erfährt jeder, wie ewigkeitslang bei intellektuellen Diskursen die Zeit werden kann. Aber Denis führt den akademischen Dialog ad absurdum, ohne ihn zu unterbrechen. Das ist groß.

Schlöndorff ruft sich eine brandenburgische Stechmücke sowie Augustinus zu Zeugen seiner Zeitbetrachtung auf einem Ost-Campingplatz (natürlich mit Skinheads), aber seine Bilder wollen einfach nicht zu den Worten.

Schlöndorff enttäuscht beinahe so sehr wie Bertolucci, dieser einstige große Gewalttäter des Kinos, der sich hier auf die Illustration einer östlichen Weisheit zurückgezogen hat. Alles Vergängliche nur ein Gleichnis? Kann schon sein, aber es gibt wenig Schlimmeres als Gleichnisse, die „Ich bin ein Gleichnis!“ rufen.

In Berlin in den Hackeschen Höfen und in den neuen Kant Kinos.

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