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Kultur: Unter dem Vulkan

Brüderliches Welterleben: Jörg Magenaus Biografie über Ernst und Friedrich Georg Jünger.

Ernst Jüngers Werk gleicht einem Schwertransporter: Achtung, schert aus, womöglich weit nach rechts. Auf Sicherheitsdistanz ist zu achten. Und so würde man auch von der Gebrüder-Jünger-Biografie eines ehemaligen „taz“-Redakteurs erwarten, dass sie auf Abstand fährt. Also zum Beispiel erst einmal erläutert, dass Jüngers Kriegsschriften keine unbedenkliche Lektüre seien. So aber fängt Jörg Magenau gerade nicht an. Die Jüngers werden der politischen Kategorisierung entzogen. Magenau erzählt ganz nah und einfühlsam vom Alltag eines 100-Jährigen und springt dann zurück zu den Kinderspielen von „Fritz“ und „Ernst“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Kinderspiele trieben sie gewissermaßen ihr Leben lang, abenteuerlustige, ewige Jungs mit einer Leidenschaft für Käfer (Ernst) und Vögel (Friedrich Georg).

In den letzten Jahren sind mehrere große Biografien Ernst Jüngers erschienen. Das gibt Magenau die Freiheit, ein spezifischeres, aber ergiebiges Leitmotiv zu verfolgen: die „stereoskopische Existenz“, das brüderliche Welterleben. „Einen Bruder zu haben, ist ein Glück. (...) Es war eine Form von Osmose, ein tiefenwirksamer und lebensnotwendiger Austausch von Substanz.“ Frühe Lektüren absolvieren sie wie siamesische Zwillinge: „Das Buch in der Mitte zwischen sich auf dem Tisch, saßen sie eng nebeneinander und blätterten im Gleichtakt um.“

Ihre Kindheit war bildungsbürgerlich behütet; eine von Dienstboten gesicherte Ordnung der Dinge, mit viel Raum für fantastische Spiele und das Herumstreichen durch Wiesen und Wälder. Woher also der antibürgerliche Furor der Brüder in den wilden Zwanzigern? Mehr als mit Individualpsychologie hat es mit der Generationserfahrung des Ersten Weltkriegs zu tun. In dessen infernalischem Licht erschien alles fahl und mürbe, was vorher gewesen war. Sie versuchten, die Fleischmühle des Kriegs als eine intellektuell saubere Angelegenheit zu verstehen, die Schlächterei philosophisch durchzufiltern, Feindschaft als höheres Prinzip zu begreifen. Wer auf der Seite des Werdens ist, muss der nicht auch die Zerstörung des Bestehenden gutheißen? Der Krieger als Katalysator der Zukunft – so ließ sich der Tod auf den Schlachtfeldern als sinnvoller „Opfergang“ begreifen.

Die ständige Nähe des Todes, Rauschzustände und Entbehrungen – all das trug bei zur Metaphysik des Krieges: die Schlacht als Schule der Zeichen und Schicksalsstunden. Eine solche war es, als Ernst auf dem Schlachtfeld von Langemarck den verwundeten Friedrich Georg fand und für dessen Abtransport sorgte; eine Urszene der Bruderschaft, die ihre Verbundenheit bekräftigte, aber eine Differenz besiegelte: „Ab jetzt stehen sie sich als Retter und Geretteter gegenüber, als Kriegsheld und Invalide“, so Magenau.

Friedrich Georg Jünger betrat die publizistische Bühne im Schatten des Bruders, versuchte ihn aber mit martialischen Tönen zu überbieten: Kampf gegen Parlamentarismus, Liberalismus, Kapitalismus, die „Schmach“ von Versailles. „Seine Phantasie eines wehrhaften Staates enthielt all die Härte, an der es ihm mangelte. Da gab es keine Zweifel mehr, keine lähmende Melancholie, nichts Unentschiedenes.“ Er lechzte nach Gewalttaten und fuhr mit der Mutter zur Kur.

Friedrich Georg, als Erzähler und Lyriker heute fast vergessen, war schwermütiger und idyllensüchtiger als der Bruder; ein geborener Aussteiger, der in seinen erfolgreichsten Jahren Anfragen von Zeitschriften ablehnte, weil er nur in den Morgenstunden schreibe und große Teile des Tages zum Spazierengehen und für die Gartenarbeit brauche. In seinem Denken rumorte eine Kritik am „mechanistischen Fortschritt“, die sich später durchsetzte: von der rhetorischen Raserei zum sanften Gesetz naturgemäßen Lebens, vom Präfaschismus zur Ökologie. Den Essay „Die Perfektion der Technik“ stellt Magenau an die Seite von Horkheimer/Adornos „Dialektik des Aufklärung“. Dass die grüne Bewegung Wurzeln im Antiliberalismus der zwanziger Jahre habe, sei aber eine „ungemütliche Entwicklungslinie“.

Damals kritisierten die wütenden Brüder den Nationalsozialismus von rechts: Weil er den Marsch durch die Institutionen des Parlamentarismus antrat, wenn auch nur, um diese am Ende zu zerstören. Je realer die Machtergreifung wurde, desto mehr störten sie sich am Pöbelgeruch der Nazis; für Ernst war Hitler ein in die Politik verschlagener „Friseurgehilfe“. Nach 1933 widerstanden die Jüngers jeder Vereinnahmung und riskierten Äußerungen, die sie nur deshalb nicht in größere Schwierigkeiten brachten, weil Hitler Ernst Jüngers Darstellungen des Ersten Weltkriegs schätzte; Hausdurchsuchungen musste er trotzdem über sich ergehen lassen. Friedrich Georg brachte die Haltung der Brüder in Verse: „Ruhm nicht bringt es, eure Schlachten / Mitzuschlagen. / Eure Siege sind verächtlich / wie die Niederlagen.“ Das Leben der rechten Boheme war vorbei. Sie zogen sich zurück aus Berlin in die Provinzen; nach Kirchhorst und Überlingen am Bodensee.

Den Zweiten Weltkrieg verbrachte Ernst vor allem in Pariser Hotels. Er war Repräsentant der deutschen Militärverwaltung, fühlte sich aber eher als Kulturattaché in eigener Sache und betrieb die Annäherung von Deutschland und Frankreich, wenn er sich mit Intellektuellen zu Salongesprächen traf. Er gewöhnte sich an, die Erdendinge mit geologischer Kälte zu beurteilen: Geschichte sei eine vulkanische Kraft und Politik nur die Garnierung des Vulkanrands. Das „elitäre Selbstverständnis“ der Brüder tendierte allerdings ins Hybride, Herrenreiterhafte. Spürbar reduziert nun auch Magenau den Vertraulichkeitston. Im letzten Drittel seiner Buches tritt das Erzählerische zurück und macht Platz für Analysen und kritische Kommentare.

Lange Jahre lebten die Brüder sogar zusammen. Bevor der Jüngere heiratete, gehörte er gewissermaßen zum Hausrat von Ernsts Familie. Für ihn war immer ein Zimmer frei; so war der „osmotische“ Austausch gewährleistet. Dissonanzen gab es 1962, als der verwitwete Ernst mit Liselotte Lohrer eine Freundin und Verehrerin von Friedrich Georg heiratete. Bei der Liebe hörte die „Stereoskopie“ auf.

Die erzählerische Dichte dieser Biografie, die sich in ihrer Intimität und szenischen Präsenz streckenweise wie ein Roman liest, verdankt sich den Jüngers selbst: ihrer Fülle an autobiografischen Aufzeichnungen und Tagebüchern, ihren akribischen Beschreibungen von Träumen, Reisen und subtilen Jagden in der Natur. Eine Hauptquelle ist der bisher unveröffentlichte Briefwechsel der Brüder. Das ist detailsattes Material, das Magenau in seine Sätze fließen lässt, das er geschickt arrangiert und moderiert in Form der erlebten Rede. Er folgt den Jüngers willig auch in religiöse und metaphysische Spekulationen, bis hin zu Psalmenton und Schicksalspathos. Hier wird ein Jahrhundert aus ungewohnter Perspektive besichtigt.

Jörg Magenau:

Brüder unterm

Sternenzelt. Friedrich Georg und Ernst

Jünger. Verlag Klett-Cotta,

Stuttgart 2012,

320 Seiten, 22,95 €.

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