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Kultur: Unterwegs im Warteland

Der Dokumentarfilm „Fremd“ schildert die Odyssee eines Flüchtlings von Afrika nach Europa.

Er will nicht, er muss. „Meine Mutter hat beschlossen, dass ich aufbreche, um die Familie zu unterstützen“, sagt Mohammed. Sie ist Haushaltshilfe und schafft es nicht, die sieben Kinder allein durchzubringen. Also soll der älteste Sohn Mali verlassen und ins gelobte Land namens Europa ziehen. Für die 1500 Euro, die der Schlepper kostet, werden die letzten Kühe der Familie verkauft. Umkehren ist bei dieser Irrfahrt keine Option. Das Paradies zu finden aber ebenso wenig. Dass – falls man die Überfahrt übers Meer überlebt – in Spanien statt Geld und Glück womöglich nur die Abschiebung wartet, hat sich unter Migranten herumgesprochen.

Die Berliner Dokumentarfilmerin Miriam Faßbender begleitet Mohammed auf seiner Reise von Westafrika durch Algerien und Marokko bis zum Mittelmeer. Sie dauert quälende zweieinhalb Jahre. Und was sie zeigt, ist ein allseits bekanntes, trotzdem unfassbares Drama von unglaublicher Banalität. Das Leben der Illegalen, die man im satten Westen einfach so Wirtschaftsflüchtlinge nennt. Menschen wie Mohammed, die Monate ihres Lebens damit vertun, auf den nächsten Anruf, Weitertransport oder Grenzübertritt zu warten. In schäbigen Unterkünften schlagen sie die Zeit tot, in selbst gebauten Plastikfolienzelten drücken sie sich herum. Wenn’s gut läuft, arbeiten sie als Ziegenhirte, wenn’s schlecht läuft, bleibt nur zu betteln und die Müllhalden nach Essen abzusuchen. Es sind Männer, die zwischen Hoffnung und Niedergeschlagenheit schwanken, die weder vorwärtskommen noch zurück können – isoliert und zugleich eine aus der Welt gefallene Schicksalsgemeinschaft.

Faßbender zeigt ihr Leben in diesem Zwischenreich in erdigen Farbtönen und ruhigen, klaren Bildern. Einen Kommentar gibt es nicht, dafür Interviewpassagen mit Mohammed und seinem Reisegefährten Jerry aus Kamerun. Auch das ist einer, der zu Hause nicht als Versager dastehen will und eine Zukunft in Spanien herbeifantasiert, an die er nur an guten Tagen glaubt. Verglichen mit Flüchtlingsdramen wie Michael Winterbottoms Spielfilm „In this world“, wo schiere Not die Menschen über Tausende von Kilometern treibt, bleibt diese Zukunft in „Fremd“ – in Wort und im Bild – als Motivation abstrakter. Wobei diese erzählerische Distanz ein Mehr an Erkenntnis eröffnet: Mohammed und Jerry sind nicht nur Opfer ökonomischer und kultureller Gegebenheiten, sondern auch der Agonie, die ihnen zur Lebensweise wird. Gunda Bartels

fsk am Oranienplatz

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