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Ein Angeklagter im Prozess um den Juwelenraub im Dresdener Grünen Gewölbe versteckt sich hinter einer Zeitung. 

© dpa/Sebastian Kahnert

Urteile im Remmo-Prozess: Fünf Haftstrafen und ein Freispruch

Das Dresdner Landgericht hat fünf Angeklagte für den Einbruch ins Grüne Gewölbe verurteilt und die späte Verständigung in dem langen Prozess verteidigt.

Von
  • Alexander Schneider
  • Karin Schlottmann

Richter Andreas Ziegel, Vorsitzender Richter einer Großen Strafkammer am Landgericht Dresden, hat soeben in dem wohl spektakulärsten Prozess seiner Laufbahn das Urteil verkündet.

Plötzlich wendet er sich persönlich an die sechs Angeklagten und gibt ihnen väterliche Ratschläge mit auf den Weg: „Sie haben alle lange Zeit in Haft verbraucht und sind in einem Alter, in dem Sie selbst entscheiden können, ob Sie trotz Ihrer familiären Einbindung so weitermachen oder, so altmodisch das klingt, einen rechtschaffenen Lebenswandel führen wollen.“

Es gebe Dinge, für die es sich lohne, straffrei zu leben, „und vielleicht keine schnellen Autos mehr zu fahren“. Einer der Angeklagten, der zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft sitzt, habe sein Kind noch nie gesehen.

Nach 47 Sitzungstagen in 14 Monaten, der Vernehmung von mehr als 100 Zeugen und elf Sachverständiger endet am Dienstag die Hauptverhandlung um den Einbruch ins Grüne Gewölbe. Fünf Angehörige der Remmo-Großfamilie aus Berlin erhalten Freiheitsstrafen, ein sechster wird wie erwartet freigesprochen.

Die größte Überraschung ist, dass der 24-jährige Abdul Majed Remmo nach Überzeugung der Kammer ein Mittäter ist, also einer der sechs Täter, die den Einbruch am 25. November 2019 begangen hatten. Abdul Majed selbst hatte lediglich eine Beihilfe eingeräumt und hatte ausgesagt, er habe nur Werkzeuge, darunter Äxte, aus Baumärkten gestohlen. Daher habe er auch nicht in den Deal – Geständnis gegen Strafmilderung – einwilligen können.

Von der Polizei kontrolliert

Ziegel begründet die Entscheidung gegen den Angeklagten mit der „Gesamtschau der Indizien“. Der 24-Jährige sei mit Bashir und Rabieh Remmo in dem VW Golf gewesen, der nur sechs Stunden vor dem Dresdner Einbruch in Berlin von der Polizei kontrolliert und kurz observiert worden war. Die Angaben Abdul Majeds passten nicht zusammen.

Weiter habe er im Gefängnis gegenüber einem Mitgefangenen Dinge berichtet, die nur er selbst habe wissen können. Die zweite Überraschung des Tages: Abdul Majed bleibt in Haft. Daher kommen an diesem Dienstag „nur“ drei Angeklagte auf freien Fuß – Rabieh, Bashir und Mohamed Remmo, Abdul Majeds Zwillingsbruder. Wissam und Ahmed Remmo verbüßen derzeit noch ihre Jugendstrafen von je viereinhalb Jahren für den Diebstahl der 100 Kilo schweren Goldmünze aus dem Berliner Bode Museum und wussten, dass sie im Gefängnis bleiben müssen.

Abdul Majed jedoch ist sichtlich schockiert, er ringt um Fassung. Das Gericht sieht bei ihm Fluchtgefahr, habe auch kein Geständnis strafmildernd berücksichtigen können, sagt Ziegel. Zudem war der 24-Jährige bei einer geplanten Festnahme im November 2020 für ein halbes Jahr – „im Schutz familiärer Strukturen“, wie es Ziegel nennt – untergetaucht, ist vorbestraft und hat ein Drogenproblem.

Die Entlassung aus der U-Haft gehört zum Deal. Den Verteidigern war das wichtig. Zum Antritt ihrer Reststrafe können die drei Angeklagten nun darauf hoffen, in Berlin schneller oder gar sofort als „Freigänger“ zu laufen. Sie könnten tagsüber arbeiten und müssten nur nachts ins Gefängnis einrücken, erklären die Anwälte.

Fluchtauto in Brand gesetzt

Nach Überzeugung der Kammer haben die fünf Verurteilten gemeinsam mit einem noch unbekannten Täter den Einbruch begangen, zuvor den Brand im Pegelhaus der Augustusbrücke gelegt, um das Grüne Gewölbe vom Stromnetz zu trennen. Sie hätten jedoch nicht vorgehabt, ihr Fluchtauto in einer Dresdner Tiefgarage in Brand zu setzten, sondern in der Einfahrt – wie es die Angeklagten auch ausgesagt hatten. Es sei ein spontaner Entschluss gewesen, mit dem Audi S6 in die Parkgarage zu fahren, weil sich das Tor überraschend geöffnet habe. Von dort setzten sie ihre Flucht nach Berlin in einem als Dresdner Taxi getarnten Mercedes E 500 fort.

Die Männer seien in der Woche zuvor mehrfach in Dresden gewesen, um den Einbruch vorzubereiten. So hätten sie etwa das Fenstergitter schon einige Tage zuvor bis auf eine Strebe durchtrennt, die Schnitte mit Klebeband getarnt und die Brandstiftung im Pegelhaus vorbereitet, sagt Ziegel.

Das Gericht folgt in der Beschreibung des festgestellten Tatablaufs in wesentlichen Teilen den Angaben der Angeklagten in ihren Geständnissen. Die Tat sei lange geplant und intensiv vorbereitet worden, was für eine sehr hohe kriminelle Energie der Täter spreche, sagt der Vorsitzende.

Ziegel verteidigt die Verfahrensabsprache mit den Angeklagten deutlich. „Uns ist klar, dass ohne die Einigung, die Schätze nie wieder in die Vitrinen zurückgekehrt wären.“ Es sei zwar ungewöhnlich, so spät in einem Verfahren einen solchen Deal zu vereinbaren. Auch wenn die Täter mit hoher krimineller Energie gehandelt hätten, habe das Gericht eine Schadenswiedergutmachung in dieser Größenordnung zuvor nur selten erlebt.

Die Urteile gegen die fünf Angeklagten sind nicht rechtskräftig. Die Verteidiger will Revision einzulegen. Unterdessen hat am gleichen Tag vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts der Prozess gegen einen mutmaßlichen Betrüger begonnen. Der Holländer hatte nach eigenen Angaben vorgetäuscht, den beim Diebstahl aus dem Grünen Gewölbe entwendeten polnischen Weißen Adler von Tschetschenen kaufen zu können.

Er erhielt dafür in Antwerpen in einem Hotel von der Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlung, Marion Ackermann, 40.000 Euro, die ein privater Verein als Belohnung zur Verfügung gestellt hatte. Ein renommierte Kunstexperte, der ebenfalls getäuscht worden war, hatte für den Mann gebürgt. Der Prozess wird nächste Woche fortgesetzt.

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