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Obama

© dpa

USA: Der Professor und der Polizist

Amerika führt eine neue Rassismus-Debatte – wegen eines Missverständnisses. Ein weißer Polizist hatte einen schwarzen Havard-Professor für einen Einbrecher gehalten. US-Präsident Obama versucht zu vermitteln.

Heute Abend soll die Angelegenheit nun also aus der Welt geschafft werden, bei einem Glas Bier auf der Terrasse des Weißen Hauses. Barack Obama hat den schwarzen Harvard-Professor Henry Louis Gates und den weißen Polizisten James „Jim“ Crowley, deren Streit seit zehn Tagen Amerika bewegt, zu einem Versöhnungstreffen eingeladen. Der Professor war von dem Polizisten für einen Einbrecher gehalten und festgenommen worden. Der Präsident hatte seinen Teil zu der Kontroverse um den vermeintlich rassistischen Vorgang beigetragen. Ausgerechnet Obama, der seine Worte gewöhnlich so sorgfältig abwägt, musste seine ersten Kommentare sogar korrigieren. Nun will Obama die Geschichte zum „teaching moment“ machen, zu einer Lehrstunde für die Nation.

Die Debatte und ihr Anlass haben alte Wunden aufgerissen. Schwarze und Weiße haben eine ganz unterschiedliche Wahrnehmung von dem, was genau vorgefallen ist – und erst recht, welche Schlüsse daraus gezogen werden müssten. Wie soll das Land da eine gemeinsame Lehre aus dem Geschehen ziehen?

Einige sehen Amerika sogar zurückgeworfen in eine Epoche, die viele Bürger für überwunden hielten. Der Präsident ist ein Afroamerikaner, auch Weiße haben ihn mit klarer Mehrheit gewählt. Im Herbst wird erstmals eine Latina am Supreme Court die Verfassung auslegen. Am Dienstag gab der Justizausschuss des Senats grünes Licht für Sonia Sotomayor. Im Sport und im Entertainment der USA sind schwarze Stars schon lange eine Selbstverständlichkeit. Auch die Topmanagerposten sind nicht mehr für Weiße reserviert. Citigroup wird von dem Afroamerikaner Richard Parsons geführt, Xerox von Ursula Burns. Sie ist die erste schwarze Chefin eines „S & P 100“-Unternehmens, der Klasse der hundert größten börsennotierten Firmen der USA. In diesem Sommer sonnte sich Amerika im Gefühl historischer Fortschritte und weitgehender Rassenharmonie.

Dann verdüsterte ein an sich unbedeutender Zwischenfall in der Universitätsstadt Cambridge den Himmel. Begonnen hatte alles mit einem Missverständnis. Der Vorfall bekam jedoch nationale Bedeutung – erstens, weil er so gut in das Muster „weißer Polizist diskriminiert schwarze Bürger“ zu passen schien; zweitens, weil der Präsident in einer seiner seltenen Pressekonferenzen zur besten abendlichen Fernsehzeit Stellung nahm. „Stupidly“, also dumm und töricht, habe die Polizei in Cambridge gehandelt, als sie Professor Gates in seinem Haus festnahm. Drei Tage später kam die Kehrtwende: Obama nannte Crowley einen „guten Menschen“ und „herausragenden Polizisten“. Es sei ein Fehler gewesen, dessen Vorgehen als „töricht“ zu bezeichnen. Obama gestand, er habe die Details nicht genau gekannt.

Das müssten sich auch andere vorhalten lassen, die schnell mit scharfen Kommentaren zur Hand waren. Doch nur wenige wollen ihr Urteil korrigieren, seit klar ist, dass die Abläufe in wichtigen Einzelheiten anders waren, als es anfangs schien. Der Interpretationsgraben zwischen Schwarz und Weiß ist nicht schmaler geworden.

Was genau war geschehen? Am 16. Juli war Henry Gates, renommierter Literaturwissenschaftler der Harvard-Universität, von einer Auslandsreise nach Hause gekommen. Die Eingangstür klemmte. Gates ist seit einem Sportunfall als Kind körperlich eingeschränkt und geht am Stock. So bat er den Taxifahrer um Hilfe. Der versuchte die Tür mit der Wucht seines Körpers zu öffnen. Eine Augenzeugin rief die Polizei; sie hielt es für einen Einbruchsversuch. Als Polizist Crowley binnen Minuten kam, war das Taxi schon wieder weg. In der Gegend hatte es seit Jahresbeginn 23 Einbrüche gegeben. Crowley forderte Gates auf, auf die Frontveranda zu treten und sich auszuweisen, um zu belegen, dass dies kein Einbruch, sondern sein Haus sei. Gates verweigerte das zunächst. Es kam zum Wortwechsel, in dem der Professor laut Polizeibericht laut und ausfällig wurde und Crowley mehrfach einen Rassisten nannte. Der nahm ihn am Ende fest, wegen respektlosen Verhaltens.

Bald zog der Vorfall nationale Kreise, samt dem Vorwurf, dies sei ein Fall von „racial profiling“: Die Hautfarbe der Beteiligten sei das Hauptmotiv für den Notruf der Augenzeugin und das fehlende Bemühen des Polizisten um Fingerspitzengefühl gewesen. Der Taxifahrer war ebenfalls ein Afroamerikaner. Ganz selbstverständlich setzte man voraus, die Notruferin – mal wurde sie als Nachbarin, mal als Passantin beschrieben – sei eine Weiße, die dem Klischee folge, wenn zwei Schwarze mit Gewalt eine Haustür öffnen, müssten es Einbrecher sein. In der Pressekonferenz zur Gesundheitsreform am 22. Juli wurde der Präsident nach seiner Bewertung gefragt und nannte das Handeln der Polizei töricht.

Heute weiß man: Die Anruferin ist portugiesischer Abstammung und hat selbst dunklere Haut. Im Notruf hatte sie gar nicht behauptet, dass die Verdächtigen Schwarze seien. Erst als Polizist Crowley eintraf und um eine Beschreibung bat, sagte die Frau, sie glaube, es seien zwei Männer mit dunkler Hautfarbe gewesen; einer habe das Haus bereits verlassen.

Das entzog der Interpretation des „racial profiling“ eigentlich die Basis. Schwarze im White House Press Corps hält das aber nicht davon ab, beim täglichen Briefing zu fragen, ob der Präsident nicht eine Untersuchungskommission zum Problem des „racial profiling“ einrichten wolle.

Obama und manche Kommentatoren versuchen, Verständnis für die jeweilige subjektive Lage zu wecken. Gates war müde von der langen Reise. Er empfand es als erniedrigend, sich im eigenen Haus ausweisen zu müssen. Da können einem die Worte schon mal entgleisen. Crowley hatte sich im Grunde lehrbuchmäßig verhalten. Wegen des Einbruchsverdachts musste er Gates’ Identität überprüfen. Er durfte sich nicht allein ins Haus begeben, sondern musste Gates herausbitten. Es hätten ja weitere „Täter“, womöglich mit Waffe, im Haus sein können. Dann traf Verstärkung ein. Crowley wurde vor Kollegen von einem zornigen alten Mann als „Rassist“ beschimpft – und er sollte das einfach so hinnehmen? Er unterrichtet den Polizeinachwuchs, wie man „racial profiling“ vermeidet.

Am 24. Juli korrigierte Obama seine Wertung. Beide seien im Prinzip „gute Menschen“, die jedoch in dieser Situation nicht aus ihrer Haut konnten. Deshalb sei es zur Eskalation gekommen. Die Lehre sei, dass Schwarze und Weiße sich noch mehr über ihre jeweiligen Empfindlichkeiten austauschen müssten.

Andere kluge Beobachter schreiben, der Kern des Konflikts sei nicht Rasse, sondern Klasse: Eine kulturelle Distanz trenne den arroganten Harvard-Professor von der Schicht einfacher Polizisten, ganz unabhängig von der Hautfarbe.

Doch die meisten Amerikaner bewegen ihre speziellen Emotionen rund um den Rassenkonflikt. Schwarze suchen Anlässe, um über das lange von den Schwarzen erlittene Unrecht zu sprechen – gerade weil ein Afroamerikaner Präsident ist. Weiße finden, es müsse endlich gut sein. Der Rassismus-Vorwurf diene viel zu oft als bequeme Ausflucht, wenn es tatsächlich um das Fehlverhalten von Schwarzen gehe. Wenn überhaupt, wollen sie, dass man nicht mehr alles durch das Rassenspektrum sehen soll. Das Bier im Weißen Haus wird diese Widersprüche nicht wegspülen.

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