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Enthusiasmus euphorisiert. „Blazing Worlds“ von Sergiu Matis im Radialsystem.

© Nella Aguessy@bigmotha

Utopie macht Laune: Neohippies tanzen im Radialsystem

Schöne neue Welt. Der Choreograf Sergiu Matis zeigt in einer Koproduktion von Tanzfabrik und Radialsystem die Performance „Blazing Worlds“.

Von Sandra Luzina

Eine arktische Landschaft ist in der Vorhalle des Radialsystem als 3D-Animation zu sehen. Im Wasser treibt das Skelett eines ausgestorbenen Tieres. Sechs Perfomer:innen flattern wie bunte Schmetterlinge zwischen den Zuschauergruppen umher – und jagen einer Eingebung hinterher oder einem kosmischen Wink. In Sergiu Matis’ Tanzperformance „Blazings Worlds“ nehmen sie das Publikum mit auf eine imaginäre Reise.

In der Haupthalle laufen alle in freudiger Erwartung umher. Ein Frauentrio stößt gellende Laute aus. Ein Gurren, Miauen und Meckern ist zu hören – die Performer:innen verwandeln sich in animalische Kreaturen, sie flattern mit den Armen wie Vögel, räkeln sich wie Katzen oder vollführen eine Reihe von Bockssprüngen. „Eine neue Welt naht“ verkündet dann Emilie Gregersen.

Der Choreograf Sergiu Matis hat sich in Performances wie „Hopeless“ oder „Extinction Room“ mit der Klimakrise und dem Artensterben auseinandergesetzt. Gegen das Gefühl der Hoffnungslosigkeit kämpft er nun in „Blazing Worlds“ an. Das Stück ist eine Verteidigung des utopischen Denkens. Matis hat sich von einem frühen Science-Fiction-Romanen aus weiblicher Feder inspirieren lassen. „The Description of a New World, Called The Blazing-World“ von Margaret Cavendish erschien im Jahr 1666.

Die gelehrte und exzentrische Duchess of Newcastle beschreibt darin eine fremdartige Welt, die von vernunftbegabten Tieren bevölkert ist und in der die Herrscherin philosophische Gespräche mit Geisterwesen führt. Matis ist so kühn, dass er einige der Texte von Cavendish im Chor singen lässt. Das ist schön schräg und teilweise auch befremdlich anzuhören.

Geister der Vorfahren

Man lauscht verwundert diesen Fantasien über eine funkelnde Welt, deren Städte aus Marmor, Alabaster, Achat und Korallen erbaut sind. Idyllen unberührter Natur werden besungen. Botanische Exkursionen steigern sich ins Lyrische.

Aya Toraiwa und Kevin Kilonzo erzählen dann von Orten, die ihnen in ihrer Kindheit viel bedeutet haben: Sie berichtet vom Fluss Tama auf der japanischen Hauptinsel Honshū, er von einer Felsformation in Afrika, wo er die Geister seiner Vorfahren spürte.

Die Schar der Schwärmer begibt sich dann auf die Suche nach dem Zentrum der Glückseligkeit – und scheinen es auch gefunden zu haben. Sie durchlaufen verschiedenen Stadien der Freude und Euphorie, wirken mal verzückt, mal entrückt. Sergiu Matis konzentriert sich ganz auf den Überschwang der Gefühle, hat darüber aber das Choreografieren vernachlässigt. Die Szenen muten eher wie eine ziemlich lockere Gruppenimprovisation an.

Dafür haben die Tänzer:innen ihre Stimme trainiert. Sie schreien aus voller Kehle und haben keine Scheu, auch tierische Laute anzustimmen. Zudem müssen sie eine Menge Text abliefern. Auch Auszüge aus dem Buch „Otherland. A World in the Making“ des Paläontologen Thomas Halliday werden vorgetragen, das eine Reise durch ausgestorbene Ökosysteme ist.

Auf der Suche nach Galaxien

Aus den Tänzer:innen werden Kosmonauten, die in einem Raumschiff abheben – auf der Suche nach fernen Galaxien. Etwas Sternenstaub hätte man gern auch auf der Bühne gesehen, doch die paar Kreiselbewegungen wirken eher lahm und formlos. Nach diesem kosmischen Trip wendet sich Matis dann den Ursprungsmythen zu – hier bekommt der Text etwas dunkel Raunendes. Fast wie eine Öko-Musicalnummer mutet es an, wenn Emilie Gregersen singt „Ich will ein Baum sein“ und von der Gruppe hochgehoben wird.

Zwei Stunden lang Demonstration von Frohsinn und Glückseligkeit. Positive Gefühle im Überfluss. Das ist kaum auszuhalten. Und könnte auch schnell lächerlich wirken. Doch die Performer:innen sind echt gut drauf – sozusagen Natur-stoned. Am Ende der Zeitreise landen sie wieder im jetzigen Zeitalter des Klimanotstands – sie ringen um Atem und sinken zu Boden. Zu aufhellender Minimal Music steigern die Perfomer:innen sich am Ende in ein ausdauerndes Jauchzen. Diese Utopisten wirken wie die Antipoden zur „Letzten Generation“.

„Blazing Worlds“ wurde im Rahmen des Kooperationsprojekts zwischen der Tanzfabrik und dem Radialsystem aufgeführt. Die Weltverbesserungs-Performance überzeugt zwar nicht unbedingt in choreografischer Hinsicht. Und liefert auch keine Visionen eines anderen Zusammenlebens auf diesem Planeten. Doch das neohippieske Happening, das Sergiu Matis ganz unerschrocken aufführt, schaut man sich trotzdem gern an. Der Enthusiasmus wirkt tatsächlich euphorisierend.

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