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Verbrecher JAGD: Es ist eben Krieg

Die Zutaten für die Bombe bekommt man in jedem Baumarkt: „500 ml Wasserstoffperoxid zu 49,5 Prozent, ein Liter Schwefelsäure zu 96 Prozent und ein Liter Salpetersäure zu 65 Prozent, dazu ein bisschen Aceton.“ Der selbst gebaute Sprengsatz explodiert in einem Fernsehstudio in Berlin-Mitte während der Aufzeichnung einer Talk Show.

Die Zutaten für die Bombe bekommt man in jedem Baumarkt: „500 ml Wasserstoffperoxid zu 49,5 Prozent, ein Liter Schwefelsäure zu 96 Prozent und ein Liter Salpetersäure zu 65 Prozent, dazu ein bisschen Aceton.“ Der selbst gebaute Sprengsatz explodiert in einem Fernsehstudio in Berlin-Mitte während der Aufzeichnung einer Talk Show. Unter den Toten ist Lutif Latif, ein Intellektueller mit ägyptischen Wurzeln, der gerade für die Grünen in den Bundestag eingezogen ist und seitdem für viele Muslime als Verräter gilt. Niemand zweifelt daran, dass das Attentat auf Kosten eines islamistischen Terrornetzwerks geht. In den Redaktionen der Zeitungen und Nachrichtenmagazine läuft die Hysterieproduktion auf Hochtouren: „Das ist der Einsatzbefehl. Al-Qaidas Entscheidung ist gefallen, Europa soll brennen.“

Yassin Musharbash, Jahrgang 1975, weiß, dass ein Anschlag nichts ist ohne die entsprechende Schlagzeile. Er arbeitet als Redakteur für „Spiegel Online“, hat sich auf islamischen Terror spezialisiert – und wenn er in seinem ersten Thriller „Radikal“ (Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011, 397 Seiten, 14,99 €) jetzt die Geschichte eines Attentats auf einen Politiker mit Migrationshintergrund erzählt, geht es darin auch um die sehr deutsche Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand. Darum muss man Musharbash lesen: Nicht weil er ein halbwegs realistisches Attentatsszenario entwirft, sondern weil sein Post-Sarrazin-Krimi einen intimen Blick in die radikale Gemütslage einer Nation wirft. Während Redaktionsleiter mit einem Glas Scotch in der Hand von „Netzwerken“ und „organisierten Schläfern“ phantasieren, treffen sich sogenannte besorgte Bürger, um „ohne Tabus“ über die „Islamisierung des Abendlandes“ zu reden – und insgeheim die Gründung einer paramilitärischen Organisation zu betreiben. Gut möglich, dass nicht Al-Qaida verantwortlich ist für den Anschlag auf Lutif Latif, sondern die ganz normalen Islamgegner von nebenan: „Es ist eben Krieg“, schwärmt eine junge Rechtsanwältin, die gerade mit einigen Gleichgesinnten über „zweite Einwanderungswelle“ und die „demographischen Verwerfungen“ diskutiert hat.

Deutschland träumt sich seinen Krieg. Dabei ist er außerhalb der Landesgrenzen längst Wirklichkeit. Soldaten der Bundeswehr sind in der ganzen Welt im Einsatz, und die steigende Zahl der Auslandseinsätze hat auch das Landsergenre neu belebt. Ein ziemlich eindrucksvolles Beispiel ist Nicola Marnis Thriller „Todesfahrt“ (Page & Turner, München 2001, 576 Seiten, 14,99 €).

Der Name der Autorin ist ein Pseudonym, hinter dem sich Iny Klocke und Elmar Wohlrat verbergen – ein höchst erfolgreiches Schriftstellerduo, das in sämtlichen Genres zwischen Fantasy, History und Heimat unterwegs ist. „Todesfahrt“ ist Teil einer Serie um den deutschen Geheimagenten Torsten Renk, der immer ins Feld geschickt wird, wenn die Bundesrepublik „durch wen auch immer“ gefährdet wird. Diesmal wird er an das Horn von Afrika versetzt, um eine Bürgerkriegspartei in Somalia beim Kampf gegen radikale Islamisten zu unterstützen - mit „schnellen Fahrzeugen, Nachtsichtgeräten, leichten Raketen und so weiter“.

Und so weiter? So viel Begeisterung für Kriegsgerät und Fronterlebnisse gab es schon lange nicht mehr in einem deutschen Roman. Agent Renk verlässt sein Hotelzimmer grundsätzlich nur mit einer Sphinx AT 2000 im Schulterholster und einem Kampfmesser am rechten Unterschenkel, eine Bundeswehreinheit, die zu seiner Unterstützung eingeflogen wird, liefert sich Scharmützel mit muslimischen „Freischärlern“, begleitet vom Dauerfeuer der Heckler & Koch MP5. Wenn etwas schiefläuft, finden sich immer ein paar „Männer“, die bereit sind, unter Einsatz ihres Leben „einen Kameraden rauszuhauen“, und natürlich bietet sich auch am Horn von Afrika Gelegenheit für eine zarte Romanze. Diese Art von Soldatenprosa hat man das letzte Mal in den fünfziger Jahren gelesen, als Autoren wie Heinz Günther Konsalik in ihren Stalingradromanen die verbrecherischen Einsätze der Wehrmacht an der Ostfront erfolgreich zum Stoff für die Unterhaltungsliteratur umdeuteten. Jetzt befindet Deutschland sich wieder im Krieg – und die Arbeit am Mythos geht weiter.

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