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Carmen (Laura Angelina Palacios) bewundert ihr Haushaltsgerät aus DDR-Produktion.

© GMfilms

Doku über Nachhaltigkeit: Verliebt in RG28

Die Apokalypse in Gestalt einer Müllverbrennungsanalage: Der Dokumentarfilm „Kommen Rührgeräte in den Himmel?“ sucht nach Alternativen zur Wegwerfkultur.

Carmen ist Studentin an der Universität von Jena. Außerdem ist sie verliebt und will einen Kuchen backen. Aber das neue, billige Rührgerät versagt schon beim ersten Gebrauch den Dienst. Dann leuchtet Carmen auf dem Flohmarkt ein orangefarbener Klassiker aus der DDR entgegen: das RG 28. Die zwanzig Euro sind gut angelegt, der Kuchen gelingt, nur der Freund versetzt die Verliebte. Was liegt näher, als sich statt seiner in das RG 28 zu verlieben und auf schnellstem Weg, als Schweizerin jeder Ostalgie unverdächtig, nach Suhl hinter den sieben thüringischen Bergen zu reisen, wo die legendäre Küchenmaschine achtzehn Millionen mal vom Band lief – die Stückzahl so hoch, wie das Land zwischen Elbe und Oder Einwohner hatte?

Mit dieser hübsch erfundenen Geschichte bereiten sich der Produzent Bert Göhler und der Regisseur Reinhard Günzler die Ausgangsbasis, um ein trockenes Thema heiter anzugehen. Laura Angelina Palacios, wie die Erzählerin richtig heißt, gelingt es im Handumdrehen oder, besser gesagt, mit jedem vollen Blick ihrer dunklen Augen, ein Dutzend Leute in Suhl und einige anderswo tätige Experten zum Reden zu bringen. Sie blickt in das Innere der einst auch in den sozialistischen Bruderländern“ begehrten Küchenmaschine, die man sogar aufschrauben konnte. Reparatur statt Wegwerfen lautete die vom Mangel diktierte, aber gesunde Devise jedes ostdeutschen Haushalts. Dem verschweißten Gehäuse eines neuen Küchengeräts kann dagegen kein Schraubenzieher beikommen. Warum wohl? Carmen will es genau wissen.

Kein Schummeln oder Bummeln

Mal lächelnd, mal mit Sorgenstirn eilt sie zwischen den grünen Wiesen in Suhl, wo mit der Abwicklung des Elektrogerätewerks durch die Treuhand vierhundert Arbeitsplätze verlorengingen, und kleinen wie großen Sammelstätten von DDR-Design hin und her. Sie lässt sich die leergefegte Werkhalle des VEB – Carmen spricht die Abkürzung für Volkseigener Betrieb fast andächtig aus – zeigen, wo die Bänder und mit ihnen das RG von Hand zu Hand liefen. Wegen der strengen Endkontrolle und weil man sich im Kollektiv aufeinander verlassen musste, gab es kein Schummeln oder Bummeln.

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Ein Seufzen mischt sich in den Erzählton der Rentner, ein freudiges Wundern über das „Kollektiv“ in die Frage der vorurteilslosen Alice im Wunderland einer „gescheiterten Utopie“. Zum Spaß streift Carmen sogar mal eine blaue FDJ-Bluse über – eine Szene, die an eine ähnliche in Volker Koepps Abschiedsfilm von der DDR „Sammelsurium“ aus dem Jahr 1992 erinnert.

Aber mit Erinnerungen will sich dieser munter von Ort zu Ort springende, frei produzierte Film nicht aufhalten. Er will auch mehr, als eine Lanze für das von westlicher Seite anmaßend ignorierte Design in der DDR zu brechen. Wer einmal die Luft der Utopie geatmet hat, dem geht sie nicht mehr aus dem Sinn. Wie könnte die Ökonomie den Menschen dienen statt umgekehrt, lautet die nicht eben leichtgewichtige Frage, die Carmen umtreibt.

Traumbild der Hoffnung

Ein Jenaer Professor weiß zumindest eine Teilantwort, wenn er vorschlägt, alle direkten und indirekten Subventionen, die ein Produkt zum Beispiel auf dem langen Weg zwischen Chile und Deutschland zugeschlagen bekommt, im Preis erscheinen zu lassen. Tüftler aber gehen längst zur Tat über und richten Repaircafés als praktikable Alternative zur Mülltonne ein. Geben wir den Dingen ihre Seele zurück, sagt eine Psychologin.

„We Feed the World“, mahnte vor Jahren der österreichische Regisseur Erwin Wagenhofer mit seinem aufrüttelnden Filmessay. Göhler und Günzler meinen es nicht minder ernst, wenn sie die Apokalypse in Gestalt einer gigantischen Müllverbrennungsanlage ins Auge fassen. Aber ihr letzter Blick gehört dann doch dem RG 28, das vom Himmel, wo die Utopien gut aufgehoben sind, zu Carmen herabschwebt, die ihm einen sanften Kuss aufs Gehäuse haucht – ein schönes Traumbild der Hoffnung.

Babylon Mitte, Filmkunst 66, Zukunft

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