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Andacht im Museum. Blick in die Renaissance-Ausstellung im Frankfurter Städel, die noch bis zum 26. Mai zu sehen ist.

© Städel Museum

Publikumsmagnet Renaissancekunst: Verweilen in der Sturmzeit

Ob in Berlin, Frankfurt, London oder Mailand: Die Renaissancekunst ist gerade mächtig en vogue. Doch ihre Beliebtheit beruht auf einem Missverständnis.

Stolz steht der Mann am Fenster, im dunklen Gewand der Wohlhabenden und Mächtigen, eine Persönlichkeit von Rang. Alvise Gradignan della Scala war Farbenhändler, Besitzer eines Geschäfts für Künstlerbedarf – ein in Venedig damals hoch geachteter Beruf. Tizian hat seinen Lieferanten 1561/62 großformatig porträtiert; Hommage an eine Branche, der die venezianische Malerei viel verdankt.

Das internationale Handelszentrum in der Lagune war ein Umschlagplatz für Pigmente. Venedig hatte die besten Farben, sie wurden eingesetzt in der Glasindustrie und bei den Textilien. Venedig produzierte Luxusgüter, und davon profitierten seine Maler. Sie saßen an der Quelle. Tizians Bild des Alvise Gradignan mit dem Pigmentengefäß auf dem Fenstersims, sonst in der Galerie der Alten Meister in Dresden zuhause, hängt derzeit im Frankfurter Städel – als bedeutendes Beweisstück für die Ausstellung „Tizian und die Renaissance in Venedig“.

Ein Gütesiegel wie kein zweites

Die Renaissance verleitet zu Rekorden, macht Museumsdirektoren und Besucher glücklich. Über zwanzig Werke von Tizian sind in Frankfurt jetzt zu sehen, so viele wie noch nie zuvor in Deutschland, betont das Museum. Und natürlich auch Bilder von Tintoretto, Veronese, Sebastiano del Piombo, Jacopo Bassano und Lorenzo Lotto, darunter seine radikal-freche, in hellem Blau und Weiß strahlenden „Judith mit dem Haupt des Holofernes“ aus der Sammlung einer römischen Bank.

Mitte Februar hat die Schau im Städel eröffnet, kurz zuvor ging in der Alten Pinakothek in München die Präsentation „Florenz und seine Maler. Von Giotto bis Leonardo da Vinci“ zu Ende. Lorenzo Lotto widmeten der Prado in Madrid und die National Gallery London im vergangenen Jahr eine wunderbare Porträt-Ausstellung. Die Berliner Gemäldegalerie erfreut sich an „Mantegna und Bellini“, wiederum in Zusammenarbeit mit London. Die Liste lässt sich fortsetzen. 2018 war Tintorettos 500. Geburtstag, Venedig ehrte seinen Maler vor allem mit einer großen Ausstellung im Dogenpalast. 2019 wird das Leonardo-Jahr, mit da Vincis 500. Todestag. Großer Auftritt für Mailand. Renaissance geht immer.

Gern erinnert man sich an die fabelhafte Versammlung der „Gesichter der Renaissance“ 2009 im Berliner Bode-Museum. Auch die jüngsten Ausstellungen, ob Frankfurt, München oder Berlin, zeichnen sich durch hohe und höchste Qualität aus. Die italienische Renaissancemalerei ist ein Gütesiegel wie kein zweites auf dem Marktplatz der Museen, ein Publikumsmagnet wie das überlaufene Venedig, das neuerdings von Tagestouristen Eintritt nimmt.

Das Kunsterlebnis bietet Teilhabe an

Erleben wir eine Renaissance der Renaissance? Das mag übertrieben sein, und es dreht sich auch um einen sehr großen Zeitraum, grob um das 14. bis 16. Jahrhundert, von einem einheitlichen Stil kann da gar nicht die Rede sein. Aber die Beliebtheit der „Wiedergeburt“, die eigentlich ein kompletter Neustart in die Moderne ist, keine Wiederholung der Antike, fällt auf. Drei Gründe könnte es dafür geben. Es sind Phänomene und Probleme einer permanent expandierenden, heiß- und leerlaufenden Kunstwelt.

Das erste ist die mit die Zunahme der Biennalen verbundene Politisierung des Ausstellungsbetriebs. Biennale-Kunst ist in der Regel für oder gegen etwas engagiert, demnächst wohl wieder in Venedig. Kunst bietet freien und geschützten öffentlichen Raum, als Plattform sozialen Austauschs angesichts multipler Bedrohungsszenarien. Dann aber auch häufig: als platte Form.

Nach all den ästhetischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts wenden sich viele Künstler direkt einer gesellschaftspolitischen Agenda zu, meist den Erscheinungsformen der Globalisierung. Die Arbeiten bekommen dadurch etwas Journalistisches, im besten Fall zupackend Aktuelles. Nicht anders im Theater: Bildende Kunst und darstellende Kunst praktizieren das Ein- und auch Übergriffige, das Kunsterlebnis bietet Teilhabe an, mit dem Gestus angewandter Soziologie.

Eine große Lust auf das Schöne

Da wirkt ein Saal mit Renaissancegemälden wie eine Befreiung, ja Erlösung. Das Martyrium eines Heiligen Sebastian ist schmerzfrei spektakulär. Für uns heute steht das exzellente Handwerk, die venezianische Farbe, der florentiner Disegno, das malerische Genie im Vordergrund, die religiösen Sujets treten dahinter zurück. Man kann sich satt sehen, es tut gut, das Prachtkostüm eines Veronese-Porträts mit den Augen abzutasten. Es gibt wieder – wenn sie denn je abhandengekommen war – eine große Lust auf das Schöne, das in der zeitgenössisch-installativen Kunst kaum Platz hat. Die Renaissance feiert den Menschen als Individuum, zelebriert die Intimität der Körper, betont Intelligenz und Autonomie. Die Kirchenmotive wandern in die Mythologie. Und es zählt strahlend sichtbar der Einzelne, nicht der Schwarm.

Nur: Wie oft haben diese Maler das Schreckliche dargestellt, die Vergewaltigung der Lukrezia zum Beispiel. An ihrer Geschichte, ihrem Selbstmord aus Scham und Schande ist nichts Schönes. Und wurde sie nicht auch deshalb so oft gemalt, weil Künstler wie Betrachter sich an ihrem Anblick erregen können? Oder Tizians Doge Francesco Venier: todkrank der alte Mann, im Hintergrund stehen venezianische Besitztümer in Flammen, es herrscht Krieg.

Das Vergangene hat eine magische Leuchtkraft

Andacht im Museum. Blick in die Renaissance-Ausstellung im Frankfurter Städel, die noch bis zum 26. Mai zu sehen ist.

© Städel Museum

Man kann das alles sehen und wissen, man muss aber nicht darauf eingehen. Darin liegt der Vorteil, die Ambivalenz der Alten Meister. Sie dürfen unverständlich sein im Detail. Um einen Tintoretto zu bewundern, muss man die Zusammenhänge nicht kennen. Natürlich war auch die Malerei der Renaissance in Venedig, Florenz oder Rom ein Politikum, ein riesengroßes Geschäft. Und Tintoretto ein harter Geschäftsmann. In der zeitlichen Distanz aber wird das zu Künstleradel.

Der zweite Grund der häufigen und gerade wieder sehr großen Renaissance-Begeisterung liegt in der Natur der Materie. Mantegna und Bellini in Berlin, Tizian in Frankfurt, das sind Museen auf Zeit, vorübergehend umsortierte, ergänzte ständige Sammlungen, die frische Neugier wecken. Das Vorhandene wird neu gesehen und wiederentdeckt. Glanzpunkt- Ausstellungen wie „Mantegna und Bellini“ sind immer auch nur Ausschnitte eines kaum zu überblickenden Gesamtgeschehens. Und in diesem Fall auch eine Familienzusammenführung – die beiden Maler waren verschwägert.

Die Renaissance war von technischen Umwälzungen geprägt

Man glaubt ja nur, diese Maler und ihre Bilder zu kennen. Doch selbst in der Renaissance (oder gerade dort) trifft das nicht zu. Lorenzo Lotto war lange unterschätzt, gehört immer noch nicht zu den ganz „Großen“, wieso auch immer. Im Städel ist Jacopo Bassano kennenzulernen, ein mit dunklen Farben experimentierender Maler der Spätrenaissance. In der Berliner Gemäldegalerie hängen jetzt drei riesige Mantegnas aus dem Zyklus von Cäsars Triumphzug, die man sonst nicht so leicht sieht.

Geschicktes Labeling hilft auch. „Utrecht, Caravaggio und Europa“: In der niederländischen Stadt geht an diesem Sonntag eine Ausstellung zu Ende, die diverse Reizbegriffe vereint. Es ist eher die Zeit der Nach-Renaissance, aber auch hier gilt: Das Vergangene hat eine magische Leuchtkraft, wenn sich eine der heutigen Kunst anscheinend überlegene Meisterschaft mit Mythos verbindet.

Und drittens schließlich war die Renaissance massiv von technischen Umwälzungen geprägt, von universellen Entdeckungen. Kolumbus ist soeben aus Amerika zurück. Die Portugiesen tauchen in Brasilien auf und gründeten ein – kurzlebiges – Weltreich. Laut Wikipedia erscheint im Jahr 1500 die erste europäische Straßenkarte (nach Rom), zum ersten Mal wird eine Frau per Kaiserschnitt entbunden. Da Vinci hat in Mailand da gerade das „Abendmahl“ geschaffen und davor Flugapparate skizziert. 1453 erobern die Türken Konstantinopel, 1512 stellt Kopernikus das Weltbild klar: Die Sonne steht im Zentrum.

Die Werke des rinascimento künden nicht von Chaos

Wenn man bei diesen Daten ein angenehmes Schaudern empfindet, dann hat es mit einer vielleicht auch nur eingebildeten zeitlichen Verwandtschaft zu tun. Im Wunderreich der Renaissance findet sich ungeheuer viel, das an das Heute erinnert, an Aufbruch, Weltfindung, exemplarischen technischen Fortschritt.

Der Unterschied ist: Die Werke des rinascimento künden nicht von Chaos, sie atmen Ordnung und Symmetrie. Die Werke der Renaissancemaler zeigen, im wörtlichen Sinn, Perspektive. Sie verheißen einen guten Ausgang – in unseren Augen. Sie wirken optimistisch und kraftvoll angesichts der revolutionären Neuerungen, die sie abbilden und von denen sie ein Teil sind. Auch damals raste die Geschichte, doch in den digitalen Bildertornados des 21. Jahrhunderts laden diese Zeugnisse einer früheren Sturmzeit zum erholsamen Verweilen ein.

Die Welt anno 2019 fürchtet sich vor wissenschaftlichem Fortschritt, vor KI und Genmanipulation und weiteren radikalen Entdeckungen. Die Renaissancekunst, Produkt einer extrem unruhigen, ungeduldigen Epoche, übt jetzt merkwürdigerweise eine beruhigende Wirkung aus, zumal im Schutzraum der öffentlichen Museen, die in der Renaissance so noch nicht erfunden waren. Ein brodelnder Vulkan, der uns wie ein Anleitung zur Meditation erscheint, fast die perfekte organisierte Welt: Darin liegt ein grandioses Missverständnis.

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