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Julia Leeb hat vor Kurzem ein Buch mit dem Titel "Menschlichkeit in Zeiten der Angst" veröffentlicht.

© Samira Muhic

Krisenreporterin Julia Leeb: Virtual Reality im Krieg

Es gibt diesen Prototyp des weißen Kriegsfotografen: Mutig läuft er durch die Wüste, auf der Suche nach Wahrheiten. Julia Leeb ist anders. Ein Portrait.

Julia Leebs erste Ausstellung handelte von Wasser – und was passiert, wenn es nicht da ist. Sie zeigte fünf Fotografien in einem Kulturzentrum in der ägyptischen Hafenstadt Alexandria. Das Bild eines ausgetrockneten Kugelfisches hing da und das eines Matrosen auf dem Festland. Die Show kam beim Publikum nicht besonders an. Eine Bekannte sagte, dass sie lieber Fotos von Blumen ansehe, das Leben sei schon hart genug.

Leebs Vernissagen in Deutschland sind hip, man sieht es in einem Video auf Youtube. In extravaganten Lampen spiegeln sich die großen Kinderaugen der auf Acrylglasplatten gedruckten Fotos. Julia Leeb sitzt auf einem Barhocker vor dem Publikum und sagt: „Wenn ich die Welt schon nicht ändern kann, will ich wenigstens den Blick auf sie ändern.“

Leeb ringt mit der Perspektive. Ihre Berufsbezeichnungen wechseln: Mal ist sie Künstlerin, dann Assistentin, Journalistin oder Virtual-Reality-Filmemacherin. Und jetzt Autorin. Ihre Thematik bleibt gleich: Sie berichtet über Kriegs- und Krisengebiete, immer im Ausland, immer weit weg. In ihrem neuen, bei Suhrkamp erschienenen Buch „Menschlichkeit in Zeiten der Angst“ schreibt sie, dass ihr das Etikett egal sei, sie wolle nur dokumentieren, was sie sehe.

Leeb hat schon viel erlebt. Sehr schöne und sehr schreckliche Momente. In dem Buch beschreibt sie, wie sie in Kairo auf dem Tahrir-Platz verschleppt und misshandelt wurde. In einem anderen Kapitel erzählt sie, wie sie 2011 in der libyschen Wüste während des Aufstands gegen Gaddafi, unter Beschuss geriet. Einer ihrer Begleiter starb.

Gemeinsam mit dem ehemalige CDU-Abgeordneten Jürgen Todenhöfer, dessen Assistentin sie zu dem Zeitpunkt war, musste sie sich hinter einer Düne vor Granaten verstecken. Ihre Berichte bannen, sie klingen unwirklich, nach Actionroman.

„Ich bin ja keine Lehrerin, die den Zeigefinger erhebt“

Leeb ist als Ich-Erzählerin immer präsent.„Ich finde es wichtig, mich selber zu erkennen zu geben, das ist die einzige Möglichkeit, transparent zu sein. Ich bin ja keine Lehrerin, die den Zeigefinger erhebt und behauptet: ,So ist es hier‘. Ich kann nur beschreiben, wie ich den Ort zu dieser Zeit erlebt habe“, sagt Leeb im Videogespräch.

Reportagen über Krisengebiete versammelt Julia Leeb in ihrem neuen Buch. Das Foto entstand, als sie Warlords im kongolesischen Dschungel begegnete.

© Julia Leeb

Hinter ihr steht eine der bedruckten Acrylglasplatten, wie sie bei der Vernissage zu sehen war. Eine Fotomontage: Ein Mann in traditioneller ägyptischer Kleidung läuft an einem Gebäude vorbei. Das vergrößerte Foto einer kongolesischen Rebellin liegt darüber. Es sieht aus, als würde sie über den Mann wachen. „Das ist losgelöst vom aktuellen politischen Geschehen. Es ist Kunst“, sagt Leeb und lacht.Im Moment ist sie in Bayern, pandemiebedingt, um der Familie nah zu sein. Aber die nächste Reise ist schon in Planung.

Trotzdem bleibt eine Diskrepanz

Es gibt diesen Prototyp des Kriegsfotografen: Mit Kameras behangen und in Safariweste gekleidet läuft er durch die Landschaften, mutig und martialisch, auf der Suche nach Wahrheiten. Julia Leeb tritt weit weniger draufgängerisch auf. Sie wirkt distanziert und doch herzlich. Sie will vor allem die Geschichten jener erzählen, die trotz Ausnahmezustand weiter kochen, heilen, lehren.

Trotzdem bleibt eine Diskrepanz: Leeb berichtet aus privilegierter Perspektive. Eigentlich müssten die Betroffenen besser selbst erzählen. In dem Youtube-Video von der Vernissage sagt Leeb, dass sie denen eine Stimme geben könne, die keine hätten. Ein hehrer Anspruch, der schnell dominant wirkt.

Doch Leeb hat für sich eine Technologie entdeckt, mit der tatsächlich objektiver berichtet werden könnte: Virtual-Reality-Videos. Der Hype um Virtual Reality kam vor ungefähr sechs Jahren auf. Auf Elektronik-Messen probierten Menschen neue 3D-Brillen, wankend und euphorisiert. Sie waren nicht mehr in der Halle, auf der Messe, sondern tauchten virtuell in Orten ein, die überall sein konnten, in Jacksonville oder Jakarta, real oder animiert.„Man ist mittendrin“, sagt Leeb.

Kein Konsument, sondern ein Zeuge. „Wenn man nach unten schaut, sieht man den Lehmboden, und oben den im Himmel, ohne das eigene Wohnzimmer zu verlassen.“ Davor habe alles einen Rahmen gehabt. Ölgemälde, Fernsehbildschirme, Fotos. Aber mit Virtual Reality seien Ausschnitte nicht möglich. Die Berichterstatterin als jene, die den Blickwinkel vorgibt, fällt weg.

In Deutschland wollte niemand das Material haben

Leeb bestellte zügig das Equipment. Die sechs Kameras kamen am selben Tag an, an dem sie in den Kongo flog. Sie traf Warlords und sammelte so viele Bilder wie möglich mit der neuen Technik. Auf den Videos sieht alles ein bisschen verzerrt aus, die Proportionen sind ungewöhnlich, Himmel und Boden nehmen viel Bildfläche ein.

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In Deutschland wollte niemand die Videos haben. „Was will eine Zeitung auch mit 360-Grad-Ansichten?“ Leeb ließ das Video „stitchen“, also zerteilen und als Panoramabild zusammensetzen. Das „SZ-Magazin“ veröffentlichte ein Feature. Die Video-Aufnahmen wurden über einen Internetlink bereitgestellt, dazu gab es eine Reportage von Leeb aus der Ich-Perspektive. Inzwischen ist der Hype um 360-Grad-Videos verflogen.

„Die Community gibt es aber weiterhin“, sagt Leeb. Die Technologie wird in der Investigativ-Recherche eingesetzt, zum Beispiel von dem preisgekrönten britischen Netzwerk „Bellingcat“. Leebs Filme liefen auf Festivals in Weißrussland, Südafrika und Transsilvanien.Bislang hat sie ihre 360-Grad-Kamera noch nirgendwo zurückgelassen. Sie hat sie immer eingesammelt und mit nach Hause genommen.

An einer Universität in Doha gibt sie Seminare und erklärt Studierenden die Vorzüge und Techniken des 360-Grad-Journalismus. Eine ihrer Schülerinnen sammelte 360-Grad-Bildmaterial in ihrer Heimatstadt Sanaa im Jemen.Im Kurs sollten die Studierenden beschreiben, was sie in den Videos sehen. Beim Lesen der Texte war Leeb erstaunt, alle achteten auf etwas anderes. Den Teilnehmer:innen waren Dinge aufgefallen, die sie selber gar nicht bemerkt hatte.

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