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Kultur: Vögelnde Fische

In einer Berliner Ausstellung ist der Zeichner Marcus Behmer nach 50 Jahren wiederzuentdecken

Er hat nicht nur Kafka gefallen. Auch Thomas Mann und Robert Walser und Rilke und Gorki. Doch vor 50 Jahren ist er im Berliner Westend, von der Literatur- und Kunstwelt, die er mit feinem Strich begleitet hat, als fast Vergessener gestorben. Dazu passt auch die jüngste Geschichte.

Kürzlich nämlich machte ein Engländer damit Furore, dass Franz Kafka eine secrete Porno-Sammlung besessen habe. Das war zwar Quatsch, aber der Vorwurf, Kafka habe gewisse Bilder besessen und da gebe es „animals comitting fellatio“ zu sehen, war erst mal in der Welt (vgl. Tsp. vom 8. August). James Hawes inzwischen erschienenes Buch „Excavating Kafka“ ist nun weniger eine „Ausgrabung“ als eine durch Unkenntnis, Puritanismus, Homophobie und gewisse antideutsche und antijüdische Töne obskure Wichtigtuerei. Die Explosion eines Knallfrosches.

Doch apropos: Als Beleg für die tierische Unzucht präsentiert Hawes tatsächlich die Zeichnung eines Frosches. Und der nuckelt als geiler Kaltblütler an den zu Pimmeln gewordenen Blütenstengeln einer Pflanze. Eine typisch groteske Jugenstil-Illustration im Stil von Aubrey Beardsley. Für Hawes jedoch, der Beardsley so wenig zu kennen scheint wie Alfred Kubin und andere angebliche „Pornographen“, deren Lithographien Kafka wohl schätzte, für ihn existieren weder Bildlegenden noch entsprechende Autoren- und Künstler-Nachweise. Der kunstgeschichtliche Kenner freilich meint, das sei ein weiteres Blatt von Beardsley, dessen absurd dekadenten, elegant-obszönen Jahrhundertende-Lithographien auch die in kleiner Auflage in Wien erschienenen Kunst- und Literaturzeitschriften „Amethyst“ und „Die Opale“ zierten, die Kafka zusammen mit seinem Freund Max Brod um 1906 abonniert hatte.

Der vollmundige, mit der ironischen Gravur „Le Gourmand“ betitelte Frosch ist allerdings eine Zeichnung von Marcus Behmer. Auch er hatte für die beiden von Franz Blei herausgegeben Zeitschriften mit eingelegtem Seidenpapier geschützte Drucke entworfen. In einer Vitrine der Galerie Daniel Buchholz in der Berliner Fasanenstraße sind die raren Exemplare des „Amethyst“ und der „Opale“ zu entdecken. Vor allem aber ist das Gesamtwerk von Marcus Behmer wieder zu entdecken: in dieser opulenten, mit knapp 250 Exponaten – von der Druckgraphik und Plastik bis zu Bucherstausgaben und Handschriften – bestückten Behmer-Ausstellung, die durchaus ein Ereignis ist.

Der 1879 in Weimar als Sohn eines Kunstmalers geborene, seit 1902, von Auslandsaufenthalten abgesehen, in Berlin ansässige Zeichner hatte mit einer schnell ungeliebten Dekorationsmalerlehre in München begonnen. Früh indes wurde er als Illustrator Mitarbeiter des Schwabinger „Simplicissimus“, geriet alsbald in den jugendstilig satirischen Künstlerkreis der „Insel“ und ebenso in den eher gegensätzlich elitären George-Kreis um den Dichterfürsten Stefan George und Karl Wolfkehl, lernte Hofmannsthal und Rilke kennen, reiste nach Frankreich und knüpfte Kontakte zum Pariser Kunsthändler Julius Meier-Graefe, zu Henry van de Velde, beteiligte sich an der Wiener Secession – und ging, ein junges Talent auf vielen Hochzeiten, in die neue Metropole Berlin.

Im selben Jahr 1902, illustriert Marcus Behmer auch die deutsche Erstausgabe der skandalisierten „Salome“ von Oscar Wilde. Für die englische Ausgabe hatte wiederum Aubrey Beardsley gezeichnet, den Behmer selber als seinen „Imperator“ mit dem Stift als Szepter verewigt. Behmers von Dekadenz, von Wilde’scher Schwüle wie auch Frivolität geprägten Bilder hatte indes der junge Max Reinhardt vor Augen bei seiner als Sensation gefeierten Erstaufführung der „Salome“, damals noch eine geschlossene Vorstellung in Berlins Kleinem Theater.

Die Nähe zum leicht Abgründigen, abtrünnig Anrüchigen und doch zugleich Weltläufigen sind typisch für Behmers Leben. Auch für sein Nachleben, in dem er unter anderem auch als Ikone der Schwulenbewegung gilt und in der Hochkultur dennoch der Fastvergessene ist.

Der Delphin ist sein Wappentier. Mal springt er in Grazie, mal trägt er Züge des Autors und hat eher einen Wal-Kopf, mal ist er auch, der Kalauer passt hier, ein vögelnder Fisch. Und eines der berühmtesten Werke des Bilderbüchermenschen Behmer sind seine Illustrationen zu Philipp Otto Runges Märchen „Von dem Fischer und syner Fru“. In der Taschenbuchausgabe der Insel-Bücherei kann man sie bis heute sehen. Bei der dem Verlag vorangegangenen Zeitschrift „Die Insel“ war Behmer in seiner früh erfolgreichsten Zeit gleichsam der Art Director, neben den Textchefs und Dichtern Rudolf Alexander Schröder und Julius Otto Bierbaum. Er förderte dort Robert Walser und konkurrierte wohl auch mit dem Jugenstilkünstler Heinrich Vogeler.

Er kannte den Tänzer Nijinsky und die Dichterin Else Lasker-Schüler, zechte mit Gerhart Hauptmann und Heinrich Zille. Selber nicht Jude, entwarf Behmer doch eine neue künstlerische Druckschrift für den Talmud und riskierte viel, als er sich als einer der ersten Künstler früh, ab 1903 schon für die Freiheit der Homosexuellen in Deutschland einsetzte. Unter den Nazis war seine öffentliche Karriere dann vorbei, er verbrachte zwei Jahre im Gefängnis – und zeichnete doch weiter auch teils subtil, teils drastisch erotische Motive der Männerliebe.

Auch von diesen kühnen Seiten zeigt der Kölner Galerist und Behmer-Sammler Daniel Buchholz nun viel Überraschendes in seiner Berliner Dependance. Aber die Ausstellung, die man eine Retrospektive nennen könnte und die das Engagement mindestens des Berliner Galeristen Springer oder des Frankfurter Städel auch nach 1945 aktuell fortsetzt, sie birgt vor allem einige kulturhistorische Schätze. Etwa aus den Briefwechseln mit Behmers Freund Harry Graf Kessler oder mit dem heute 80-jährigen Berliner Schriftsteller Benno Meyder-Wehlack, der Marcus Behme bis zu dessen Tod begleitet hat.

Behmer starb vor 50 Jahren, am 12. September 1958 in der Berliner Westendallee und hat, immerhin, ein Ehrengrab auf dem Waldfriedhof an der Heerstraße. Nicht weit davon, in der Reichsstraße 52, verwaltet in seinem Antiquariat der Buchhändler und Behmer-Kenner Marcus Haucke den Nachlass. Auch dort sind, über den September hinaus, schöne Originale von Marcus Behmer zu sehen.

Galerie Daniel Buchholz, Berlin, Fasanenstraße 30, bis 2. September Di - Sa.

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