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Die Sopranistin und Kantorin Mimi Sheffer hat das „New Life“-Festival initiiert.

©  Daniela Incoronato

Klassikfestival „New Life“: Vom Glück des Überlebens

Erinnern an die Vergessenen. Das Klassikfestival „New Life“ präsentiert Musik jüdischer Komponisten, die vor den Nazis flohen.

Zum Beispiel Joseph Kaminski. Der Komponist und Geiger wurde 1903 in Odessa geboren, wuchs in Warschau auf, studierte von 1922 bis 1924 in Berlin, ging dann erneut nach Warschau, war dort Konzertmeister des Rundfunkorchesters und emigrierte schließlich 1937 nach Tel Aviv. Dort wurde er Kapellmeister des Palestine Orchestra, das heute als Israel Philharmonic Orchestra ein Klangkörper von Weltgeltung ist. Oder Robert Kahn: Geboren 1865 in Mannheim, studierte er ebenfalls in Berlin Komposition. Wilhelm Kempff war einer seiner Schüler, Artur Rubinstein besuchte Kurse bei ihm. 1938 verließ Kahn Deutschland in Richtung England und kehrte nie wieder zurück.

Man kennt Kaminski und Kahn heute kaum noch. Es sind zwei von Dutzenden jüdischen Komponisten, die der Rassenwahn der Nationalsozialisten zur Flucht zwang und die in der Fremde weiterarbeiteten, oft erfüllt von Trauer und Schmerz, Zerrissenheit und Sehnsucht nach der alten Heimat. Aber: Sie haben überlebt. Anders als zum Beispiel Erwin Schulhoff, Pavel Haas oder Victor Ullmann, die in den Konzentrationslagern umkamen. Ihre Werke haben in den letzten Jahren eine gewisse Renaissance erfahren.

Das Festival „New Life“ schließt jetzt eine Lücke. Ab Freitag präsentiert es für drei Tage in der Elisabethkirche und der Villa Elisabeth die Musik jüdischer Komponisten, die auf die eine oder andere Weise mit Deutschland verbunden waren und das Glück hatten, zu überleben – und trotzdem hierzulande dem Vergessen anheimfielen. Von Joseph Kaminski etwa wird das erste Violinkonzert aufgeführt, von Robert Kahn eine Serenade für Klarinette, Viola und Klavier.

Im Zentrum des Programms steht Paul Ben-Haim

Im Zentrum des Programms steht allerdings ein anderer: Paul Ben-Haim (1897-1984), der als Paul Frankenburger in München geboren wurde und dort Dirigieren studiert hat. Er war Assistent von Bruno Walter und Hans Knappertsbusch und Kapellmeister in Augsburg. Der dortige Intendant entließ ihn, übereifrig, schon 1931, weil er Jude war. Mit dem Schiff gelangte Frankenburger nach Palästina, nahm einen neuen Namen an (Ben-Haim bedeutet „Sohn des Lebens“) – und machte sich dann daran, eine neue israelische Klangsprache zu schaffen. Er gehörte, gemeinsam mit Komponisten wie Marc Lavry, der „Mediterranen Schule“ an, deren Vertreter die nahöstliche Motivik und Rhythmik mit der mitteleuropäischen Tradition verschmolzen und beispielsweise die im arabischen Raum weit verbreiteten Melismen in die Musik integrierte, also das Singen mehrerer Töne auf eine einzige Silbe.

„Die Wandlung von Ben-Haim ist wirklich bemerkenswert“, erklärt Mimi Sheffer, Initiatorin des Festivals. „Vor der Emigration komponierte er eher im Duktus von Mahler oder Strauss.“ In Israel wurde sein Stil „mittelmeerischer“. Er begann, Texte israelischer Lyrikerinnen wie Lea Goldberg zu vertonen und mit der jemenitischen Sängerin Bracha Zefira zusammenzuarbeiten. Mimi Sheffer, Sopranistin und in Kalifornien geboren, ist in Israel aufgewachsen. Seit 20 Jahren lebt sie in Berlin als Liedsängerin und Kantorin in der Jüdischen Gemeinde. Zum Anlass für das von der Lottostiftung Berlin geförderte Festival hat sie jetzt den 120. Geburtstag Ben-Haims am 5. Juli genommen. „In Israel ist seine Musik sehr präsent“, sagt Sheffer. Vor allem sein liturgisches Werk und die Lieder haben es ihr angetan. So wird sie am Freitag (20 Uhr) Ben-Haims Sinfonisches Gedicht „Pan“ singen und am Samstag (18 Uhr) frühe Lieder von ihm, in denen er Verse von Hofmannsthal, Storm, Morgenstern oder Nietzsche vertont hat. Begleitet wird sie dabei von der Pianistin Ofra Yitzhaki, die in Tel Aviv lebt und sich auf zeitgenössische israelische Komponisten spezialisiert hat. Jehoash Hirschberg, Professor an der Hebräischen Universität und Autor einer Biografie Ben-Haims, führt in beide Konzerte ein.

Ein breites Spektrum aus Liedern, Kammermusik und Sinfonik

„New Life“ ist nicht ausschließlich ein Festival vergessener Namen – und konzentriert sich nicht ausschließlich auf die Nazizeit. Kurt Weill, der nach dem Krieg am Broadway Karriere gemacht hat, ist ebenso vertreten wie Ernst Toch, dem das Gleiche in Hollywood gelang. Aber eben auch Karel Salomon, Hans Gál, Leo Smit oder Gustavo Beytelmann (geboren 1945), der wegen der argentinischen Militärjunta nach Paris emigrierte – eine politische Flucht auch dies. Und Josef Tal (1910-2008), der in Berlin bei Paul Hindemith studiert hat und später in Jerusalem das „Center for Electronic Music in Israel“ gründete. Auch weil er so viel elektronische Musik schuf, liegt er Mimi Sheffer besonders am Herzen: „Josef Tal schrieb eine völlig eigenständige, autonome Musik, unabhängig von den Einflüssen der Region oder des Landes, in dem sie entstand.“

Auch György Kurtág ist ein prominenter Name. Das Trio Figment spielt am Sonntag (15.45 Uhr) seine 1990 entstandene „Hommage à R. Sch.“, an der man gut studieren kann, wie das Hören der Musik anderer (in diesem Fall Robert Schumann) Abdrücke im eigenen Werk hinterlässt.

Insgesamt präsentiert das Festival ein breites Spektrum aus Liedern, Kammermusik – etwa mit dem Mirage Quartett (Samstag 15.30 Uhr) – und Sinfonik. Dazu hat sich Mimi Sheffer die Berliner Symphoniker geholt, deren Chef Lior Shambadal sich seit Langem mit jüdischer Musik beschäftigt. Sie werden Sheffer am Eröffnungsabend beim „Pan“-Gedicht begleiten. Außerdem sind sie dabei, wenn Erez Ofer, Konzertmeister des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, Josef Kaminskis Violinkonzert interpretiert (Sonntag, 18.30 Uhr) – dem Abschlussstück des Festivals. Das bisher noch ein einmaliges Projekt ist. Aber natürlich hofft Mimi Sheffer, dass es im nächsten Jahr weitergeht.

Festival „New Life“, 14.-16. Juli, Elisabethkirche und Villa Elisabeth, Invalidenstraße 3 in Mitte.

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