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Der Verleger Emil Oprecht in Zürich, n.d.

© ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv

Vom „Schweizerboden“ aus das NS-Regime bekämpft: Mit Thomas Mann gegen Hitler

Der Zürcher Europa Verlag war ein Stützpunkt der Exilliteratur. Jetzt erscheint eine Biografie seines Verlegers Emil Oprecht .

Das Interesse am Exil und seinen Lebensformen wuchs stark in den 1980er Jahren als Teilbereich der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Nun hat Christoph Emanuel Dejung eine Biografie von Emil Oprecht (1895-1952) vorgelegt, dem Gründer und Leiter des Europa-Verlags in Zürich. 

Oprecht hat nicht nur zahlreiche Bücher verlegt, sondern auch die Zeitschrift „Mass und Wert“ – mit schweizerischem Doppel-„ss“ für „ß“ –, schließlich auch, was kaum bekannt ist, das Zürcher Schauspielhaus betrieben. Dejungs Buch ist zwar nicht das erste, das sich mit Oprecht befasst, doch das vorangehende von Peter Stahlberger liegt bereits ein halbes Jahrhundert zurück.

„Opi, der Hilfsbereite“, wie eine Freundin ihn nannte, war eine streitbare Persönlichkeit, der für seine Ideale jede Schwierigkeit auf sich nahm. Sein Studium der Nationalökonomie verdiente er sich durch die Anstellung bei einer Bank, den Wehrdienst beendete er als Unteroffizier; zugleich war er den durchweg bürgerlichen Studenten als Jungsozialist suspekt. 

Er stammte aus einem kleinbürgerlichen, doch fortschrittlich gesinnten Elternhaus. Sein ein Jahr älterer Bruder Hans ging denselben politischen Weg – und wurde später ein Konkurrent im Verlagswesen.

Beginn mit Buchhandlung

Emil Oprecht heiratete 1921 eine Freundin aus der Wandervogelbewegung.1925 gründete er zunächst eine Versandbuchhandlung in der Rämistraße 5, der sich vier Jahre später ein Ladengeschäft anschloss. Erste Versuche als Verleger unter dem Namen „Oprecht & Helbling“ kamen hinzu. 

Die Machtübernahme der Nazis in Deutschland wurde 1933 zur Wegscheide: Im Schaufenster seiner Buchhandlung stellte Oprecht die soeben von den Nazis verbrannten Bücher aus. Noch im selben Jahr gründete er den Europa Verlag; sein Bruder Hans, der die Geschäftsführung der aus Deutschland exilierten Büchergilde Gutenberg übernimmt, sichert durch Festabnahmen dessen Bestand. 

Der erste Erfolg ist ein Roman, „Fontamara“ des im schweizerischen Exil lebenden Ignazio Silone, doch seine politische Bestimmung findet der Verlag – so Dejung – mit „Büchern, die nichts anderes sein wollen als Tatsachenberichte aus der nationalsozialistischen Wirklichkeit“.

Anti-Hitler-Literatur

Den größten Erfolg bringt die zweibändiger Hitler-Biografie des exilierten Journalisten Konrad Heiden, die aufgrund der Zeitzeugenschaft des Autors bis heute Bestand hat. Als letztes Buch eines Emigranten erschien bereits während des Krieges „Von Weimar zu Hitler“ des ehemaligen preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun.

Aber Oprecht tat mehr. „Die Hälfte seiner Tage war mit direkter Hilfe für Emigranten erfüllt“, schreibt Dejung, „die andere Hälfte für die Lektüre faszinierender Manuskripte reserviert (...).“ Allerdings wurden seine Aktivitäten im heimischen Zürich „erbittert angefeindet“. 

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Unter dem Titel „Geistige Landesverteidigung“ wurde in einer Rechtsaußen-Zeitschrift erklärt, bei den Vorträgen, die Oprecht mit seinen Autoren veranstaltete, setze sich „die Zuhörerschaft aus Zürcherischen Juden und deren Hofstaat, der sogenannten ,besseren Gesellschaft‘ zusammen“. 

Der Bundesrat – die Schweizer Regierung – warnte Oprecht schriftlich, dass es „die für die Sicherheit zuständige Landesbehörde nicht weiter zulassen kann, dass der neutrale und völkerrechtlich gesicherte Schweizerboden für die propagandistische Bekämpfung fremder Staaten (...) missbraucht wird“.

Thomas Mann bekennt sich

1937 kann Oprecht mit dem „Briefwechsel“ von Thomas Mann die erste antinazistische Veröffentlichung von Thomas Mann herausbringen – ein Erfolg in fünfstelliger Auflage. Es folgt die Gründung der Zeitschrift „Mass und Wert“ nach dem Vorbild der von Klaus Mann im Amsterdamer „Querido“-Verlag redigierten, 1935 nach zwei Jahren jedoch wieder eingestellten „Sammlung“. 

„Mass und Wert“ brachte es ab Herbst 1937 auf 17 Hefte; unter anderem mit Walter Benjamins „Berliner Kindheit um neunzehnhundert“. Die Auflage von 6000 Exemplaren wird nicht gehalten, und Ende 1940 muss Oprecht die Zeitschrift einstellen.

In den Vordergrund tritt nun Oprechts Hilfe für die Emigranten, die nach der deutschen Besetzung Frankreichs im Süden des Landes Zuflucht suchen respektive interniert wurden. 

Obgleich zum Militärdienst verpflichtet, reist Oprecht verbotenerweise mehrfach nach Südfrankreich und arbeitet mit Varian Fry zusammen, der Hunderte Emigranten mit Visa für die USA versorgen kann; später dankt Präsident Roosevelt Oprecht in einem persönlichen Schreiben für seinen Einsatz. 

Zur selben Zeit ist er auch noch Vorstandschef der von ihm zur Rettung des Zürcher Schauspielhauses gezimmerten Aktiengesellschaft, die das in Privatbesitz befindliche Gebäude pachtet. Und Oprecht liefert Nachrichten an Allan Dulles, den als US-Gesandten in Bern getarnten späteren Direktor des CIA.

Späte Anerkennung, immerhin

Immerhin erlebt Oprecht nach dem Krieg „uneingeschränkte Hochachtung, selbst aus Kreisen, die ihn zuvor noch heftig angegriffen hatten“, beginnt Dejung das Schlusskapitel. In den drei Jahren ab 1945 erreicht der Europa Verlag mit insgesamt 83 Titeln die Spitze seiner Produktivität. 

Bezeichnend für Oprechts im besten Sinne liberale Haltung ist, dass er 1948 Georg Lukács ins Verlagsprogramm aufnimmt, andererseits 1950 „Ein Gott, der keiner war“, eine Abrechnung mit dem Sowjetkommunismus durch desillusionierte Intellektuelle wie Arthur Koestler und Stephen Spender.

Dejung schließt seine vorzüglich dokumentierte Biografie mit der Übernahme des Schauspielhauses durch die Stadt Zürich 1951. Bereits an Krebs erkrankt, stirbt Oprecht im Oktober 1952. Ohne ihn – wie auch Fritz Landshoff in Amsterdam – hätte es einen Gutteil der Exilliteratur nicht gegeben.
Emil Oprecht: Verleger der Exilautoren. rüffer & rub Sachbuchverlag, Zürich 2020. 380 S., 30 Abb., 33,50 €.

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