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Celeste (Natalie Portman) ist gleichzeitig auf Comeback- und Abschiedstour.

© Kinostar

"Vox Lux" mit Natalie Portman: Pop zerstört Menschenleben

A Star Unborn: Das Drama „Vox Lux“ schließt Popmusik und Terror kurz. Natalie Portman treibt als abgehalfterte Sängerin ihre Lust am Camp auf die Spitze.

Von Andreas Busche

Eine Frage, die die Popkritik seit der Ankunft des sozialen Medienzeitalters immer wieder beschäftigt, ist das möbiusschleifenartige Gedankenspiel, ob schlechte Menschen gute Lieder haben können. Oder ist es vielleicht sogar so – ganz steile These –, dass Popmusik im Zeichen ihrer durchoptimierten, global zirkulierenden Warenförmigkeit Menschen auch böse machen kann? Dass Popmusik per se unschuldig ist, würde Regisseur Brady Corbet jedenfalls nicht bedenkenlos unterschreiben, wie er mit seinem furiosen zweiten Film „Vox Lux“ deutlich macht. Pop spendet Seelentrost und Pop zerstört Menschenleben – so lässt sich die Karriere der Sängerin Celeste (Natalie Portman) kurz zusammenfassen.

Als „A Twenty-First Century Portrait“ hat Corbet seinen Film großspurig untertitelt, an diesen Ambitionen kann man eigentlich nur scheitern. Und die Signatur des frühen 21. Jahrhunderts schlechthin ist der Terror, als Heimsuchung und Anrufung. Der Aufstieg der 13-jährigen Celeste, als Teenager von Raffey Cassidy gespielt, beginnt mit einem Schulmassaker in ihrer Kleinstadt in Staten Island, das das Mädchen mit einer gefährlichen Halsverletzung nur knapp überlebt.

Ein windiger Manager orchestriert den Mediencoup

Die Nation steht unter Schock, errettet wird sie von einem Lied, das Celeste mit ihrer älteren Schwester Eleanor (Stacy Martin) schreibt. Amerika verliebt sich in den schüchternen Teenager, es verleibt sich ihn ein und spuckt ihn wieder aus. Orchestriert ist der Mediencoup von einem windigen Manager (Jude Law), der die nächsten Karriereschritte bereits vorgezeichnet hat. Touren, im Studio mit einem schwedischen Produzenten (das Britney-Spears-Makeover), zerkratzte Super8-Aufnahmen von einem Roadtrip durch die beschleunigte Kindheit. Dann die Zäsur, der Anschlag aufs World Trade Center. Die Welt steht still, Celeste aber wird aus ihrer Umlaufbahn katapultiert.

Mit „Genesis“ ist dieses erste Kapitel von „Vox Lux“ überschrieben, eine Entstehungsgeschichte. A Star is Born. Dass das um Authentizität heischende Werbefilmchen für die stagnierende Karriere von Lady Gaga und Corbets auf stilisierte Künstlichkeit setzende Pop-Dystopie im vergangenen Herbst zusammen im Venedig-Wettbewerb liefen, war mehr als eine böse Pointe. „Vox Lux“ zertrümmert den naiven Selbstheilungskitsch des Stadionrock-Melos und legt mit Celeste, dieser schonungslosen Anti-Lady-Gaga, eine Spur der Verwüstung durch die jüngere amerikanische Geschichte.

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Denn auch die Wiedergeburt des Popstars („Regeneration“ lautet der Titel des zweiten Teils), ist gewissermaßen ein Akt der Gewalt. An einem Badeort in Bosnien verüben Extremisten einen Anschlag auf die Urlaubsgäste: Die Täter tragen dieselbe Maske, die Celeste im ikonischen Video zu ihrem Hit „Hologram“ (geschrieben vom australischen Pop-Superstar Sia) unvergesslich machte. Das Massaker koinzidiert unglücklicherweise mit ihrer geplanten Comeback-Tour 16 Jahre nach 9/11, die den skandalumwitterten Popstar auch zurück an den Ursprungsort ihres Traumas führt.

Aufmerksamkeit und Deutungshoheit, darum geht's

Darin sind sich Pop und Terror doch ähnlich: Beide buhlen um Aufmerksamkeit und Deutungshoheit – ein zentraler Punkt in „Vox Lux“, dessen Interpretation Corbet aber den Zuschauern überlässt. Diese Unschlüssigkeit irritierte schon in seinem Regiedebüt „Childhood of a Leader“ über die Kindheit eines faschistischen Tyrannen, das durchaus Ähnlichkeiten mit „Das weiße Band“ von Michael Haneke aufwies (mit dem Corbet das US-Remake von „Funny Games“ drehte). Auch „Vox Lux“ entwickelt epochale Gedanken, ohne sie konsequent zuende zu führen. Immer, wenn er die Zuschauer mit den Psychopathologien der Protagonistin allein lässt, muss das schnippische Voice-over von Willem Dafoe nachhelfen: Dass Corbet auf diese Form des mansplaining zurückgreift, ist nicht die einzige Inkonsistenz des Films.

„Vox Lux“ will allerdings auch gar nicht mehr sein als eine wohl kuratierte Ansammlung von Oberflächenreizen, angefangen vom Mash-up-Soundtrack, der den EDM-Pop von Sia mit den kammermusikhaften Industrial-Soundscapes des kürzlich verstorbenen Scott Walker vermischt. Bis, natürlich, zur atemlosen Performance von Natalie Portman, die ihre Lust am Camp, die sie schon in „Black Swan“ zeigte, auf die Spitze treibt. Die „regenerierte“ Celeste reißt Corbets Film an sich, dessen größte Reiz darin besteht, dass der Regisseur Portman einfach gewähren lässt. Die disparate Form wird sozusagen Teil des Konzepts.

Celeste ist die Antithese zu Portmans Jackie Kennedy, die ihr Image als trauernde Präsidentenwitwe zu schützen versuchte: ein einziger Kontrollverlust, ob sie mit ihrer Tochter Albertine (wieder gespielt von Raffey Cassidy) im Diner sitzt und einem Fan ins Gesicht springt oder zugedröhnt ihre Comebackshow abliefert. Ganz klar wird dabei nicht, welche Rolle der Pop in dieser Selbstzerstörungsorgie letztlich einnimmt: Gut kommt er jedenfalls nicht weg. Gleichzeitig sollte man von ihm auch nicht zu viel erwarten. Einer Nation, die ihr Seelenheil bei einen abgewirtschafteten Popstar sucht, ist ohnehin nicht mehr zu helfen. (In den Kinos Filmrauschpalast, Moviemento, Sputnik, UCI Mercedes-Platz, Wolf)

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