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Die Inszenierung in Minden arbeitet mit Videoprojektionen. Das Orchester sitzt auf der Bühne.

© Christian Becker

Wagners „Parsifal“ in Minden : Ohne Nackte und Nazis

Der Wagner-Verband Minden schafft es immer wieder, Werke des Meister im Theaterchen der Stadt herauszubringen. Diesmal gibt es „Parsifal“, dirigiert von Frank Beermann.

Von Eleonore Büning

Während des Vorspiels verschwinden die Musiker nach und nach zwischen den hohen Bäumen eines alten, schwarzen Waldes. Es ist windig. Blätter falllen. Die Dynamik des Orchesters, in perfekt ausgekostetem Legato, zieht uns unaufhaltsam hinein ins Spiel. Auch sieht man immer wieder das Gold der Hörner und Harfen durchblitzen zwischen den Baumstämmen. Licht bricht sich im Corpus des Cellos, irgendwann flitzt blitzschnell ein Reiterschatten an den Streichern vorbei: Muss Kundry sein, die Höllenrose. So geht das los.

Parsifal ist en vogue

Wie als Antwort auf den Bayreuther Brillen-„Parsifal“ des Sommers eröffnen heute gleich drei Theater ihre Wintersaison mit einer neuen Produktion dieses Bühnenweihfestspiels. Düsseldorf stemmt einen „Parsifal“, auch Hannover und jetzt, als erstes, das Stadttheater in Minden. Wobei die Besonderheit darin besteht, dass dieses gründerzeitliche Mindener Theaterchen für Werke Richard Wagners nicht geeignet ist. 

Bayreuth des Nordens

Hat zwar, immerhin, 526 Plätze. Aber in den Graben passt nicht mal ein „Holländer“-Orchester hinein, und überhaupt hat dieses Haus gar kein Orchester, kein eigenes Ensemble, auch keinen Produktions-Etat. Es ist ein sogenanntes „Bespieltheater“, für Gastspiele. Und doch, trotz alledem findet hier, seit nunmehr einundzwanzig Jahren, etwas statt, dass dieser Stadt den Ruf eintrug, „Bayreuth des Nordens“ zu sein.

Gleich drei Theater eröffnen ihre Wintersaison mit einer neuen Produktion des Parsifals.

© Christian Becker

Weitgehend privat finanziert und organisiert von einer Handvoll unverbesserlicher Utopisten wurden in Minden bereits acht der zehn Wagnerschen Hauptwerke aufgeführt, inklusive „Ring des Nibelungen“. Treibende Kraft ist der örtliche Richard-Wagner-Verband e.V., ist zweitens die Nordwestdeutsche Philharmonie aus Herford und drittens Frank Beermann, vormals GMD in Chemnitz, ein ausgezeichneter Wagnerkenner und -interpret.

Oper wird zum Kammerspiel

Praktisch funktionieren kann das freilich nur nach dem inzwischen auch anderswo kopierten „Mindener Modell“: Orchester nebst Chor agieren auf offene Bühne, hinter lichtdurchlässigen Vorhang, der auch undurchsichtig und zur Videoleinwand werden kann. Die Handlung findet davor statt, in oder auf dem ggf. zugedeckten Graben. So wird aus der Oper ein Kammerspiel. Und bleibt doch große Oper, weil der wirkmächtigste Geschichtenerzähler, das Orchester, bestens hör- und auch allezeit sichtbar ist – in Umkehrung des Bayreuther Ideals.

Parsifal und Kundry.

© Christian Becker

Ja, es ist die helle Freude und eine Offenbarung, Beermann und seinem Orchester dabei zuzuhören. Diese Transparenz, diese Klangfarbenopulenz und Evidenz der Klangrede sucht man auch an großen Häusern oft vergebens. Für den Regisseur, Eric Vigié, langjährig Intendant am Opernhaus Lausanne, ist dies keineswegs der erste „Parsifal“. Er ist ein alter, erfahrener Hase, der sein Handwerk versteht. Wobei der en passant geäußerte Wunsch der Wagnerverbandsvorsitzenden Jutta Winckler nach einem, wenn’s denn irgend ginge, werktreuen Storytelling „ohne Nackte und Nazis“ von Vigié so ernst genommen wurde, dass einzelne Szenen immer wieder die Karikatur streifen.

Und zwar absichtsvoll: Denn wie sonst ließe es sich erklären, dass gleich zu Beginn exemplarisch Comicfiguren auftauchen wie der blutrot ausgeleuchtete römische Legionär, der das Abbild eines im Wald aufgetauchten Video-Gekreuzigten mit seinem Speer in die Hüfte pikst, woraufhin sich einige Liter Videoblut in die von einem kohlrabenschwarzen Knappen bereit gehaltene Gralsschale ergießen?

Überzeichnete Karikaturen

Soviel zur Vorgeschichte. Auch die Hauptfiguren in diesem Mysterienspiel, in dem ein junger Dummkopf „aus Mitleid wissend“ wird und mittels der urchristlichen Reliquien von Speer und Gral die Welt vor sich selbst rettet, agieren zuweilen wie ironisch überzeichnete Karikaturen ihrer selbst. Die Gralsritter, allen voran Gurnemanz (klar konturiert, textverständlich: Tijl Faveyts) stecken immer noch in jenen bodenlangen Tuchmänteln, die sie seit Neu-Bayreuth anno 1953 zu tragen pflegen.

Parsifal (mit metallisch kernfestem Tenor: Jussi Myllys) stolpert als edler Wilder herein, wie einer, der gerade im Wald mit anderen Kindern Winnetou gespielt hat, in Jesuslatschen, mit einer hühnerfedergeschmückten Zottelperücke. Amfortas (ausdrucksstark gesungen von Roman Trekel, der in Minden bereits vor Jahren den Kurwenal sang) vollzieht die heilige Handlung im pünktlich aus dem Graben auffahrenden Gralsaltar mit Theatralik. Kundry (mit einer Spur Essig in der Stimme: Isabelle Cals) sieht aus wie Proletenlumpenjule Éponine aus „Les Miserables“, Klingsor (Yoshiuka Kimura) trägt ebenfalls abartig schrilles Musicaloutfit. Seine Blumenmädchen, mit ihren blutigen Mündchen, lieh er sich aus im Tanz der Vampire. Man muss als immer ein bißchen lachen, obgleich man doch hört, dass es um Leben und Tod geht. Man lacht, obgleich man doch ganz genau weiß, dass Kundry genau deswegen auf ewig verdammt wurde.

Auftritt des Heiland

Als dann im dritten Aufzug, mitten im Winter, der Karfreitagszauber aufblüht, legt Parsifal seine comicreife Schwanenritterrüstung ab und verwandelt sich, wie seine sorgsam geringelte Lockenpracht schon vorher hatte vermuten lassen, in den Heiland persönlich. Da taucht auf der Videoleinwand, zu den letzten verlöschenden Erlösungstakten, ein riesiges Ikonenbild des gestrengen Christus Pantokrator auf und droht dem Parsifal und uns allen mit dem Zeigefinger.

Ich bin sicher: Er meint mich. Er verbietet mir, eine schlechte Rezension zu schreiben. Oder er befiehlt mir, die „Parsifal“-Installation von Antoine Wagner, Ururenkel des Meisters, in der Kunstgalerie der Mindener Fußgängerzone nicht zu versäumen. Okay. Diese Bilder sind wirklich eindrucksvoll mild und poetisch.

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