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Was sich geziemt - und was nicht: Der ZDF-Comedian Jan Böhmermann in seiner Show «Neo Magazin Royale».

© dpa/ZDF

Was der Fall Böhmermann lehrt: Schlimme Wörter

Enthemmung und Sensibilität: die Pöbeleien in Dresden und das eingestellte Verfahren gegen den Satiriker Jan Böhmermann. Und die Reaktionen anderer Kabarettisten und Karikaturisten.

Lügenpack. Stinktier. Arschgeige. Volksverräter. Es gab noch üblere Wörter, mit denen die Kanzlerin oder auch Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth bei der Einheitsfeier in Dresden beworfen wurden. Klarer Fall von Verletzung der Persönlichkeitsrechte. Trotzdem wird wohl keiner der am Montag von PegidaAnhängern angepöbelten Politiker Strafanzeige stellen. Am Dienstag folgte die Meldung, dass der TV-Satiriker Jan Böhmermann wegen seines nicht minder wüsten Schmähgedichts gegen den türkischen Präsidenten Erdogan nicht mehr juristisch belangt wird, jedenfalls nicht wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts. Die Entscheidung über Erdogans Privatklage gegen Böhmermanns Verse in der Late-Night-Show vom 31. März 2016 steht noch aus.

Wir leben in aggressiven, überhitzten, erregten, enthemmten Zeiten. Man braucht sich nur den US-Wahlkampf anzuschauen, in dem beschimpft wird, dass es nur so kracht. Der Kandidat der Republikaner punktet genau damit. Die „New York Times“ listet alle 273 Menschen, Orte und Dinge auf, die Donald Trump schon mal beleidigt hat, Youtube präsentiert die Top Ten seiner besten Gemeinheiten. Noch ist nicht ausgemacht, ob die Pöbeleien Trump bei seiner Kandidatur nützen oder schaden. Und wenn schlimme Wörter in der Spitzenpolitik hoffähig sind, warum sollen sich AfDler zurückhalten? Oder Satiriker? Kann man über einen wie Trump überhaupt noch Witze machen? Harte Zeiten für Comedians.

Von Dresden bis Trump: Der Ton ist schärfer geworden

Der Berliner Kabarettist Florian Schroeder schlägt ebenfalls den Bogen von der Causa Böhmermann zu den Geschehnissen in Dresden. Die Einstellung des Verfahrens seitens der Mainzer Staatsanwaltschaft sei „ein Zeichen dafür, dass unser Rechtsstaat eben nicht da steht, wo ihn die Vollidioten vom Tag der Deutschen Einheit hinstellen wollen, nämlich in die scheindemokratische Ecke“.

Der Ton ist schärfer geworden. Zum einen entfaltet das Internet enthemmende Wirkung, denn es bietet den Schutzraum der Anonymität. Zweitens ist es in der Ellbogengesellschaft opportun, den starken Mann zu markieren. Drittens schlägt schnell mal um sich, wer verunsichert ist. Die Meinungs- und Kunstfreiheit wird strapaziert in diesen Tagen. Kein Wunder also, wenn auch die Plädoyers für eben diese Freiheit schärfer ausfallen, angesichts von Morddrohungen gegen Karikaturisten, Attentaten auf Satiremagazine und Einschüchterungsversuchen eines türkischen Autokraten. Man nennt es Selbstverteidigung.

Prompt reagiert der Satiriker Martin Sonneborn auf die Entscheidung der Mainzer Staatsanwaltschaft mit beißender Satire. „Wenn Erdogan Eier hat, verklagt er jetzt die Staatsanwalt wegen Strafvereitelung im Amt“, sagte Sonneborn dem Tagesspiegel. „Tut er das nicht, ist er in meinen Augen kein überzeugender Despot.“

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Die zeitliche Koinzidenz von Dresden-Aufruhr und eingestelltem Böhmermann-Verfahren wirft zudem ein Schlaglicht auf die komplizierte Gemengelage im öffentlichen Raum. Einerseits erweist sich die Zivilisationskruste mal wieder als brüchig, das war sie wohl schon immer. Andererseits ist die Sensibilität im öffentlichen Gebrauch der Sprache hierzulande deutlich höher als noch vor wenigen Jahrzehnten. Diskriminierung, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus gelten längst nicht mehr als Kavaliersdelikte, political correctness versteht sich im Parlament, in den Medien, an Schulen und Hochschulen von selbst. Und in Diskussionen über Pippi Langstrumpfs Negerkönig-Papa und „schlimme Wörter“ in Kinderbüchern verständigt die Gesellschaft sich darüber, wo die Grenze zwischen notwendigen Eingriffen in Klassiker und übertriebener Moralapostelei verläuft.

Zahmes Parlament: Kein Vergleich zu den Zeiten von Wehner und Strauß

Die Zeiten ändern sich eben doch. Trump ist Trump, aber ein bundesdeutsches Parlament, in dem verbal attackiert wird wie zu Zeiten von Franz Josef Strauß („Hetzer!“, „Schnauze, Iwan!“) oder Herbert Wehner („Übelkrähe“ zu Jürgen Wohlrabe, „Hodentöter“ zu Jürgen Todenhöfer), ist in der Berliner Republik nicht mehr vorstellbar. Aller Sehnsucht nach politischem Temperament zum Trotz.

Nicht nur Böhmermann freut sich in seiner Video-Stellungnahme auf Facebook, dass die Staatsanwaltschaft sich seine komplette Sendung und sein „juristisches Proseminar“ zum Thema Schmähkritik angeschaut hat, auch andere Satiriker begrüßen die Mainzer Entscheidung. Tagesspiegel-Karikaturist Klaus Stuttmann spricht von einer „selbstverständlichen Nachricht. Alles andere wäre eine Katastrophe für unseren Rechtsstaat gewesen.“ TV-Comedian Dieter Nuhr nennt die Einstellung wegen Belanglosigkeit „exakt richtig“. Die Justiz habe entschieden, „das nennt man Rechtsstaat, und ich bin froh, in einem solchen zu leben. Er funktioniert.“ Florian Schroeder würdigt den Beweis dafür, „dass Meinungs- und Kunstfreiheit in diesem Land etwas gelten“.

Satire wird ernst genommen, freut sich der Kabarettist Florian Schroeder

Was das Gespür für den richtigen Sprachgebrauch angeht, betont der SWR-„Spätschicht“-Moderator allerdings auch, dass man sich „bei sensiblen Themen wie etwa dem Islam“ in die Nesseln setzen könne. Es gehöre für Satiriker zum Arbeitsethos, genau hinzusehen und präzise zu formulieren. Zudem zeige die Böhmermann-Geschichte, „dass Satire doch ankommt, doch wunde Punkte trifft“. Dass sie ernst genommen werde – von wegen der beliebten simplen Unterscheidung von U und E.

SWR-"Spätschicht"-Moderator Florian Schroeder begrüßt die Einstellung des Boehmermann-Verfahrens seitens der Mainzer Staatsanwaltschaft.
SWR-"Spätschicht"-Moderator Florian Schroeder begrüßt die Einstellung des Boehmermann-Verfahrens seitens der Mainzer Staatsanwaltschaft.

© SWR/Tom Oettle

Auch für Stuttmann ist Sensibilität ein Gebot seines Berufs. Manch einer schaue jetzt vielleicht noch genauer hin. Die Freiheit der Satire habe ihre Grenzen, meint er, aber eben nicht die Grenzen des Geschmacks, sondern die von Verlegern und Redaktionen. „Satire darf keine Hetze sein und nicht auf Menschen zielen, die sowieso schon gesellschaftliche Verlierer sind. Andere Grenzen gibt es für mich nicht, sagte der Karikaturist.

Die TV-Comedians wissen es zu schätzen, dass die Staatsanwaltschaft ausdrücklich den Zusammenhang der Erdogan-Schmähung in der ZDF-Sendung „Neo Magazin Royale“ in Betracht zog – das seitens Böhmermann eigens hervorgehobene Format als „Quatsch-Sendung“: Böhmermann hat Erdogan ja nicht unflätig beschimpft, sondern extra fiese Beispiele dafür formuliert, was von der Meinungsfreiheit eben nicht mehr unbedingt gedeckt ist. Der Witz um seine Grenzen, das war Böhmermanns Thema: In seinem als Pressekonferenz inszenierten Facebook-Statement vom Mittwoch weist er genau darauf nochmals hin: dass ausgerechnet ein Gericht die Öffentlichkeit auf den Kontext aufmerksam macht. Ein symptomatischer Vorgang in Zeiten der Kurznachrichten und Tweets. Die Dinge im Zusammenhang sehen, das versteht sich nicht von selbst, wenn die Öffentlichkeit mit Schlagworten hantiert. Schlagwort, noch so ein bezeichnendes Wort.

Böhmermann muss man nicht mögen. Aber seine Freiheit gehört verteidigt

Jan Böhmermann ist kein Satiriker der virtuosen, entwaffnenden Art. Seine Show hat etwas Selbstgewisses, Machohaftes, sein „Schmähgedicht“ funktioniert nach der plumpen Methode: Ich sag’ jetzt mal, was man nicht sagen darf – um dann mit Wonne ressentimentgeladene, rassistische Wörter wie „Ziegenficker“ auszusprechen. Man muss das nicht mögen. Aber man muss die Freiheit auch für ein solch satirisches Proseminar verteidigen. Wo kommen wir hin, wenn nur noch Witze gerissen werden dürfen, die man selber für gelungen hält? Wie sagt Böhmermann auf Facebook? „Wenn ein Witz eine Staatskrise auslöst, ist das nicht das Problem des Witzes, sondern des Staates.“ Im Streitfall sollen Gerichte entscheiden, was Satire ist und was nicht. Was gute und was schlechte Satire ist, geht sie nichts an.

Mitarbeit: Gunda Bartels

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