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Starkes Stück. Eine Szene aus „paradies spielen (abendland. ein abgesang)“.

© Thomas M. Jauk

Theater in Potsdam: Was für ein Stoff

Die gebürtige Wismarerin Bettina Jahnke leitet seit dieser Spielzeit das Potsdamer Hans Otto Theater. Sie wünscht sich mehr Frauen in der Regie und setzt auf spannende zeitgenössische Stücke. Gefällig.

Wie diese neue Intendanz beginnt! Da braust ein führerloser Zug durch Deutschland, lässt Bahnhof um Bahnhof hinter sich ohne zu stoppen. Draußen Schnee und Eis, drinnen zunehmend verstörte Passagiere. Da steht ein junger Mann in der Notaufnahme eines Krankenhauses, vor ihm der verbrannte Leib seines Vaters. Der Sohn ringt um Fassung, der Vater um sein Leben. Da hustet sich ein Fabrikarbeiter in China Chemikalien aus der Lunge und träumt von einem besseren Leben in Europa. Er macht sich auf, um später dort, im schönen Italien, zu verbrennen. Ein Betriebsunfall.

Drei Szenarien, ein Stück. Der in diesem Jahr mit dem Mülheimer Theaterpreis ausgezeichnete Text „paradies spielen“ von dem österreichischen Autor Thomas Köck ist eine Überforderung. Der dritte Teil der Klima-Trilogie „abendland. ein abgesang“ geht mit jelinekscher Sprachgewalt dorthin, wo es am meisten schmerzt: im Großen (Klimakatastrophe) wie auch im vermeintlich Kleinen (dem Leben und Sterben des Einzelnen). Dazwischen umspannt er den ganzen Globus und führt die Haifischzähne des Kapitalismus vor.

Bettina Jahnke hat mit dieser Spielzeit die Intendanz am Potsdamer Hans Otto Theater übernommen und mit „paradies spielen“ ihre erste Saison in der Spielstätte Reithalle eingeläutet. „Haltung, Offenheit, Toleranz“, damit war Jahnke in Potsdam angetreten. Tobias Wellemeyer hatte das Haus zuvor neun Jahre durch ein solides Programm aus Klassikerauffrischungen, Musicaltheater und eher zaghaften Versuchen neuer Dramatik manövriert. Die Stadt wollte einen Wechsel, nun ist er da: Bettina Jahnke, geboren 1963 in Wismar, geprägt von Jahren am Staatstheater Cottbus unter der aus heutiger Sicht legendären Leitung von Christoph Schroth („Wo ich bin, ist keine Provinz!“), war zuletzt acht Jahre Leiterin des Landestheater Neuss. Jetzt führt sie das Hans Otto Theater, als erste Frau auf dem Posten seit über sechzig Jahren.

50 Prozent Frauen auf der Bühne ist das Ziel

Das Intendantinnen-Dasein ist für Jahnke kaum mehr eine Erwähnung wert. Die politische Agenda, die mit der Aufgabe einhergeht, schon. „Männer machen auch von allein Karriere. Das Netzwerk ist männlich“, sagt Jahnke. „Deswegen achte ich auf Frauen besonders.“ Und sie verspricht: „Wer künftig was von und mit Frauen sehen will, kann nach Potsdam gucken.“ Sie ist klar für eine Frauenquote am Theater: Mindestens 50 Prozent Frauen auf der Bühne ist das Ziel.

Als Frau mit Ost-Biografie – Jahnke nennt sich selbst ein „Zonengewächs“ – will sie auch, dass die DDR Thema auf der Potsdamer Bühne bleibt. Ihrem Vorgänger Tobias Wellemeyer war 2008 mit der Bühnenadaption von Uwe Tellkamps „Der Turm“ der Durchbruch gelungen. Bettina Jahnke hat mit ihrer ersten Potsdamer Regie einen ähnlichen Ansatz gewählt: Die neben „paradies spielen“ zweite Eröffnungsinszenierung war Eugen Ruges Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“. Drei Generationen DDR-Familiengeschichte fleißen hier ineinander. Von Wilhelm, verknöcherter Stalinist der ersten Generation (Joachim Berger), über den innen zweifelnden, außen buckelnden Historiker (René Schwittay) bis zu Alexander (Henning Strübbe), der diesen Spagat nicht mehr leben will und der DDR den Rücken kehrt. Es ist nicht die erste Adaption des Romans fürs Theater, vielleicht auch nicht die originellste, aber Ruge, der in Babelsberg aufwuchs, hat die Rückkehr des Stoffes nach Potsdam selbst als eine Art Heimkehr beschrieben. Und Bettina Jahnke beweist, dass sie weiß, welche Wunden in Potsdam, wie überall im Osten, noch offen sind.

Jahnke will in Potsdam alles zulassen

Konventionelles Erzähltheater hier, übermütiges Regietheater da: Bettina Jahnke will in Potsdam alles zulassen. „Es kommt auf die Mischung an aus anspruchsvoller Dramatik und gut gemachter Unterhaltung“, sagt sie. Den Publikumsrenner „Rio Reiser“ mit Moritz von Treuenfels in der Titelrolle hat sie übernommen, und auch sonst will sie nicht auf Teufel komm raus alles neu erfinden. Sie weiß, dass sie in erster Linie für Potsdam Theater macht, sagt aber auch: „Wir sind zwar ein kleiner Player, aber wir schießen bis ganz nach oben.“

Gelungen ist das bislang da, wo sich die inhaltliche Suche nach Haltung mit einer konsequenten Regie verbindet. Wo sonst hat man schon „Der gute Mensch von Sezuan“ mit hochqualitativem Live-Jazz als Verbeugung vor dem Film Noir gesehen? Die Potsdamer Inszenierung von Malte Kreutzfeldt zeigt es. Wer Bettina Jahnke in ihrer Suche nach neuen weiblichen Regietalenten folgen möchte, geht zu „Occident Express“, inszeniert von Esther Hattenbach. Rita Feldmeier, Ensemblemitglied seit 1976, ist hier Haifa, eine Frau aus dem Irak, die 18000 Kilometer bis ins Baltikum flieht. Ein Text von heute über das Heute. Eine großer, zeitgenössischer Stoff, der nicht auf der Nebenspielstätte versteckt ist.

Lena Schneider

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