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Kultur: Was machen wir heute?: Dem Erhabenen begegnen

So etwas hatte ich noch nie erlebt - so etwas wie damals in New York. Im Whitney Museum of American Art sah ich Bilder von Mark Rothko, zum ersten Mal.

So etwas hatte ich noch nie erlebt - so etwas wie damals in New York. Im Whitney Museum of American Art sah ich Bilder von Mark Rothko, zum ersten Mal. Ich hatte das Gefühl, aus den Leinwänden leuchtet mir ein überirdisches Licht entgegen. Der Raum war voll von diesem Gefühl, wie von Musik, als wär man in der Kirche und nicht im Museum. Dabei sah ich nur Farben. Rothko hatte keinen lieben Gott gemalt, keinen Heiligen Geist, er gab seinen Bildern nicht einmal Namen. Er malte einfach Gelb auf Rot auf Weiß auf Schwarz, auf Leinwände, die riesig waren. Aber diese Farbfelder hatten eine Kraft und eine Leichtigkeit, wirkten klar und geheimnisvoll, mächtig und warm, massiv und verletzlich, sie schwebten und glühten. Ihre Ränder waren diffus, die Farben schimmerten, eine durch die andere hindurch. Als Seelenbilder hat Rothko seine Werke bezeichnet. Sie trafen mitten ins Herz.

Ich wusste nichts von diesem Künstler, wusste nicht, dass die Kritiker ihn wegen seines "spirituellen Werks für eine ungeistliche Zeit" rühmten, dass er seine Farben selbst, in der Küche, mit Eiern, erfand, und sich freute, dass er dem Betrachter geistige Nahrung gab. Ich wusste nicht, dass er eine Kapelle in Houston gestaltet hatte, deren Einweihung er nicht mehr erlebte, weil er sich ein Jahr zuvor das Leben nahm. Ich wusste nur, dass ich noch nie so ergriffen war von Kunst. So berührt wie von diesen abstrakten Gemälden.

Nun ist mir Rothko wieder begegnet, in Berlin, in einer Ausstellung "Über das Erhabene". Kann man das überhaupt: Nach der Katastrophe von New York noch ins Museum gehen? Was, fragt man sich, kann, was darf, was soll Kunst überhaupt noch? Die Kinos sind leer, nur die Konzertsäle voll. Aber dann geht man an der amerikanischen Botschaft vorbei, an dem Teppich aus Blumen und Kerzen, ins Deutsche Guggenheim Unter den Linden - und ist ergriffen wie in New York.

Im Ausstellungsprospekt wird der Philosoph Edmund Burke zitiert, der "terror and pain", "panischen Schrecken und Schmerz" für die Quelle des Erhabenen hielt, im Museumsshop blättert man in der dicken Rothko-Biografie von James Breslin, liest von Peggy Guggenheim, die 1942, dem Jahr, in dem für Amerika der Krieg erst richtig begann, ihre Galerie moderner Kunst in Manhattan eröffnete. Der Eintritt betrug einen Dollar und kam dem Roten Kreuz zugute. Es war für sie ein Akt des Widerstands, so wie ein Jahr zuvor, als sie, am Tag, als Hitler Norwegen angriff, Léger ein Bild abgekauft hat, ein wunderschönes, wie sie fand. Der Künstler hat es nicht verstanden. Rothko selbst, so liest man in der Biografie, war ein Mensch, der immer Beistand, Ermutigung und Trost brauchte. Das, was er anderen durch seine Kunst gab.

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