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Was machen wir heute?: Die Hundstage genießen

Wie eine Rentnerin die Stadt erleben kann

Ein Event jagt das andere. So ist das immer in Berlin und wenigstens zur Sommerzeit auch in der Umgebung der Stadt. Leichtathletik-WM mit fantastischer Eröffnungsgala Unter den Linden, zünftige Einweihung der U-Bahn-Linie 55, Potsdamer Schlössernacht, brandenburgische Sommerkonzerte ..., überall ist etwas zu feiern.

Dazwischen tönt ein wenig Wahlkampf-Unterhaltung, „großes Event“ der SPD mit Herrn Steinmeier am Potsdamer Platz. Auf den kleinen Wahlplakaten blickt uns die Kanzlerin schäkernd von der Seite an, als wollte sie sagen, wir verstehen uns ganz prima. Herr Westerwelle und Herr zu Guttenberg strahlen großformatig, als hätten sie soeben die Arbeitslosigkeit abgeschafft und die Steuern gleich mit. Krise? Probleme? Gewiss, es gibt sie, aber jetzt wollen wir erst einmal die Hundstage genießen. Viel Zeit hat der Hochsommer nicht mehr, die ersten Vorboten des Herbstes zeigen sich ja schon. Trockenes Braun und welkes Gelb mischen sich ins Grün. Doch glutrot leuchten die Beeren der Ebereschen in der Sonne.

Berlin ist eben beides, Event und Idylle. Unsereiner braucht keine lauten Vergnügungen in der anonymen Masse, wenn das Sommermärchen anderswo zu finden ist. Am Schlachtensee zum Beispiel sieht man in diesen Tagen nichts als stillvergnügte Genießer. Weiße Wölkchen schwimmen am blauen Himmel, Schlauchboote und Ruderkähne tanzen auf dem See, Sonnenanbeter machen es sich auf sämtlichen ins Wasser ragenden und am Waldrand liegenden Baumstämmen bequem. Die Bänke sind rar geworden, die Stadt hat kein Geld, morsche zu erneuern, die Krise... Manche verzehren ihre mitgebrachten Stullen, auch das gibt es noch. Oder wieder.

Drei halbwüchsige Jungen klettern im Geäst einer hohen Eiche am Ufer herum und stürzen sich lustvoll kopfüber ins Wasser. Märchenhaft, denkt die Rentnerin, fehlt nur von Ferne das Läuten der Kirchenglocken, denn es ist Sonntag. So unaufgeregt, so genügsam heiter, als wäre es aus der Welt gefallen, kann Berlin auch sein. Brigitte Grunert

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