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Kultur: Was machen wir heute?: Herzhaft frühstücken

Es war einmal eine Zeit, da war Kreuzberg der Inbegriff von Berlin: Im Schatten der Mauer blühte das Nischenleben besonders bunt. Dann fiel die Mauer, und Kreuzberg war plötzlich mittendrin, aber nicht lange, dann war Mitte die Mitte Berlins und Kreuzberg am Rande des Untergangs.

Es war einmal eine Zeit, da war Kreuzberg der Inbegriff von Berlin: Im Schatten der Mauer blühte das Nischenleben besonders bunt. Dann fiel die Mauer, und Kreuzberg war plötzlich mittendrin, aber nicht lange, dann war Mitte die Mitte Berlins und Kreuzberg am Rande des Untergangs. "Kreuzberg wird plattgemacht", klagten die Theatermacher erst letzte Woche, nachdem ihnen die Subventionen gestrichen wurden. Jetzt fließt das Geld nach nebenan.

Wenn die Theater schließen, muss man sich eben andere Bühnen in Kreuzberg suchen. Zum Beispiel das "Trödeltheater mit Onkel Abou Dabou", wie der Trödelladen in der Bergmannstraße sich nennt. Oder das Gasthaus Herz am Marheinekeplatz.

Schon am Eingang leuchtet einem aus der Glasvitrine der Wackelpeter rot und grün entgegen, als sei das hier Liebling Kreuzbergs Lieblingslokal. Die Kulisse: Kreuzberger Barock, braun getönt, die Tapeten gemustert. Die Requisiten: reinstes Trödeltheater, Bügeleisen, Transistorradio und Brotschneidemaschine. Das Ensemble: bunt. Hier trifft man die Marktfrau von der Markthalle nebenan, den Großvater mit Enkel, Sozialfälle und Intellektuelle, Szenevertreter, Handwerker und uralte Freundinnen. Man kennt sich, man grüßt sich, man winkt sich. Im Herz wird "Ulysses" und "Bild" gelesen, hier wird Schach gespielt und philosophiert, über den Menschen und seine Schlechtigkeit, auf Original-Berlinerisch. Und natürlich wird noch geraucht, aber wie! Und was: HB und Selbstgedrehte.

Bei Herz ist es noch immer so billig wie einst in ganz Berlin, da kostet ein Frühstück so viel wie anderswo eine Tasse Kaffee. Für fünf Mark kriegt man zwei Schrippen mit einem Heißgetränk und Butter satt, Käse, Wurst, ein Ei und Marmelade, nebst Obst und Gemüse - die Wirtsleute scheinen sich ernsthafte Sorgen um die Vitaminzufuhr ihrer Gäste zu machen. Man kann aber noch mehr für einen Heiermann bekommen: Müsli oder Mett, Rühreier mit Speck und Nutella mit Überraschungsei, für die süßen Kleinen. Gut, das alles ist politisch-biologisch nicht korrekt, der Joghurt schmeckt nach Chemie, das Ei hat bestimmt kein glückliches Huhn zur Mutter gehabt, auch über die Herkunft der Cervelatwurst wollen wir nicht lange grübeln. Lieber gucken wir uns die Zille-Kopie an, die über uns hängt, und einen glücklichen Schlachter zeigt: "Meine Wurst ist jut. Wo keen Fleisch is - da is Blut. Wo keen Blut is - da sind Schrippen. An meine Wurst ist nich zu tippen!"

Was den Luxus angeht, hält das Gasthaus mit jedem Grand Hotel mit. Zum Brötchen - sieben Sorten stehen zur Wahl - werden gleich zwei Messer serviert, ein scharfes zum Schneiden, ein flaches zum Schmieren. Und das Herz macht seinem Namen alle Ehre - so flotte, herzhaft-freundliche Kellnerinnen hat man selten erlebt in Berlin.

Spandaus Kulturstadtrat, war kürzlich in der Zeitung zu lesen, möchte die Zitadelle auf die Unesco-Denkmal-Liste setzen lassen. Wir erklären das Gasthof Herz zum Weltkulturerbe.

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