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Was machen wir heute?: Konsumieren

Wie eine West-Berlinerin die Stadt erleben kann

Die liebe Bekannte M. erzählte es in kleiner Runde voller Stolz. „Also“, sagte sie, „wisst ihr was? Ich habe endlich meine Kaufsucht im Griff“, sagte sie. Und sie guckte uns der Reihe nach an und was weiß ich, was sie erwartete. Jedenfalls sagte dann jemand: „Ausgerechnet jetzt.“ Und ein bisschen fanden wir ja schon, dass es von M. einigermaßen egoistisch ist, ausgerechnet jetzt, da das Land den zügellosen Einkäufer so dringend wie nie zuvor benötigt, das Zwangsshoppen einzustellen. Jetzt, da viele andere, auch die mit schmalem Portemonnaie, sich täglich in die Läden der Stadt zwingen und dort wider alles Unbehagen Sachen kaufen, die sie nicht brauchen, um die Wirtschaft zu retten. Jacken, Mützen, Autos, vor allem Autos.

Aber insgeheim konnte ich M. natürlich verstehen. Ich habe auch jahrelang aufs Vaterland gepfiffen, wenn ich zwischen seinen und meinen Gunsten entscheiden musste. Gerade neulich wieder: Ich stand in einem Schuh geschäft, der Stiefel passte, er sah gut aus, und ich wusste, das Land braucht Konsum, aber ich wusste auch, ich brauche den Stiefel nicht, ich kann ihn mir auch gar nicht leisten. Und was tat ich? Zog stiefellos von dannen.

Du schickst dein Land in die Krise, warf ich mir später vor. Ändere das. Kaufe! Konsumiere! Am Ende schadest du dir mit deiner Sparerei auch nur selbst, redete ich mir weiter ein. Wenn alle wie du sind und keiner Geld ausgibt, werden Fabriken geschlossen, Leute arbeitslos, Sozialbeiträge erhöht, hast du auch weniger Geld – und nicht mal was dafür bekommen.

Also marschierte ich tags darauf und wild entschlossen erneut in ein Modegeschäft. Ohne etwas würde ich nicht gehen, schwor ich und wühlte los, Regal um Regal, Stunde um Stunde. Kurz vor Feierabend wählte ich einen Rock. Einen mit Schottenmuster – als Zeichen restlichen Protests. Schleppte mich zur Kasse, sah kurz trüb den Scheinen hinterher, warf mich dann aber in die Brust und rief: „Dies tat ich für mein Land!“ Ariane Bemmer

Vaterlandsrettung mit Schottenmuster z. B. bei Peek & Cloppenburg, Tauentzienstraße

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