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Was machen wir heute?: Spießer werden

Wie ein Vater die Stadt erleben kann

Alle Eltern sind Spießer. Da können Sie in einer linksalternativen Wagenburg hausen oder als Präsi bei den Hells Angels auf dicke Hose machen. Sobald Ihnen Kinder ins Haus kommen und Sie Ihren Erzieherjob anständig machen wollen, geht es nicht ohne Spießertum. Das liegt vor allem daran, dass Kinder selbst spießig sind. Sie stehen früh auf, legen Wert auf ein geordnetes Leben mit festen Stundenplänen, sie erwarten klare Ansagen und Orientierung an einem verlässlichen Wertesystem. Kinder sind erzkonservativ. Geboren als CSU-Wähler sozusagen. Liberalität ist also eher ein Ergebnis höherer Geistesbildung als eine natürliche Gegebenheit.

Und trotzdem stellen Kinder uns Eltern mit ihrer anarchischen Unberechenbarkeit ständig auf die Probe – und fordern den Spießer in uns heraus. Unsere zweijährige Tochter Greta strapaziert unsere Nerven zum Beispiel gerade mit ihrer verbalanalen Phase. Alle Lieder, die sie kennt, werden zurzeit von ihr textlich neu interpretiert, unter inflationärer Verwendung der Worte „Kacka“ und „Pupsi“. Das nimmt man so lange als Ausdruck einer gesunden Entwicklung hin, bis Greta mit ihrem Fäkalsingsang jede Unterhaltung beim Abendessen unmöglich macht – und uns den Appetit verdirbt.

Dann hat der Spießer das Wort. „Schluss damit jetzt. So was sagt man nicht.“ Und was bekommt er von Klein-Greta zu hören? „Du bist Kacka auf dem Klo!“ Unerhört! Auch ihre ältere Schwester hat noch etwas zur Tischkonversation beizutragen. Emma hat in der Schule herausgefunden, dass man mit dem ausgestreckten Mittelfinger Aufregung erzeugen kann. „Antonia hat mir erklärt, warum man das nicht tut“, erzählt uns Emma. „Weil früher, als der Doktor noch kein Stethoskop oder so hatte, da benutzte er den längsten Finger …“ – „Ja, schön Emma. So genau wollen wir das gar nicht wissen.“ – „Und darum nennt man ihn den Stinkefinger.“ Stephan Wiehler

Der Tipp für verspätete Phasen: Das „Klo“, Touristenfalle und Erlebnisgastronomie in der Leibnizstraße 57 in Charlottenburg. Getränke werden auf Wunsch im Nachttopf serviert.

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