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Kultur: Was machen wir heute?: Versumpfen

In der Charlottenburger Windscheidstraße, nicht weit vom Kurfürstendamm entfernt, betreibt Thomas Blöcker ein feines Antiquariat. Das allein wäre noch nicht bemerkenswert.

In der Charlottenburger Windscheidstraße, nicht weit vom Kurfürstendamm entfernt, betreibt Thomas Blöcker ein feines Antiquariat. Das allein wäre noch nicht bemerkenswert. Es gibt schließlich Dutzende Bücherfundgruben in der Stadt, vor allem zwischen Motzstraße und Winterfeldtplatz in Schöneberg. Aber das Antiquariat Thomas Blöcker bietet uns etwas ganz Besonderes an: eine spannende Reise in die West-Berliner Vergangenheit, während der man ständig auf die Gegenwart trifft. Nur, wie kommen wir auf Thomas Blöcker?

Alles begann mit einem Anruf. Vor ein paar Tagen meldete sich ein gewisser Antes, Wolfgang Antes, wie sich schnell herausstellte. Eine fast vergessene Stimme, nur noch ein Name, wenn überhaupt. Wolfgang Antes liest gerade viel Zeitung, und immer wieder stößt er auf Dinge, die ihn an sich selbst erinnern, an den alten Antes. An den Politiker, den Spendenempfänger Antes. Manchmal wird er sogar erwähnt. Aber eigentlich ist Antes kein Mensch mehr, sondern eine Affäre.

Vielleicht wäre Wolfgang Antes heute immer noch Baustadtrat in Charlottenburg. Oder sogar Bausenator. Wenn nur damals, 1985, nicht mitten in der Nacht auf den Berliner Makler Günther Schmidt geschossen worden wäre. Schmidt beschuldigte einen früheren Geschäftspartner, hinter dem Anschlag zu stecken. Die Kripo durchsuchte die Büros des Verdächtigten, und dort fand sie einen seltsamen Brief an einen lieben Wolfgang. Dieser Wolfgang hatte demnach 200 000 Mark bekommen, aber die dafür versprochene Baugenehmigung noch nicht herausgerückt. Das sollte der Wolfgang nun mal schnell machen, sonst, so der Briefschreiber, "werde ich sehr ungemütlich".

Ungemütlich wurde es in der Tat. Denn der liebe Wolfgang war der Baustadtrat Antes, und als der Chef der Kripo-Sonderkommission, Uwe Schmidt, bald bemerkte, dass er die ersten Fäden einer großen Korruptionsaffäre in der Hand hielt, begann er kräftig daran zu ziehen. Einen nach dem anderen holten er und seine Leute am Schopf aus dem Berliner Sumpf, Politiker, Bauunternehmer und Bordellbesitzer. Aber trockenlegen konnten sie den Sumpf nicht. Und viele, die damals herausgeholt wurden, sind heute wieder darin untergetaucht.

Die einen haben es vergessen, die anderen nie davon gehört. Wer ist eigentlich Wolfgang Antes? Eine gute Frage. Man kann West-Berlin ohne die Geschichte von Wolfgang Antes nicht richtig verstehen. Das West-Berlin von damals nicht - und das von heute auch nicht.

Wer den Berliner Sumpf erkunden will, braucht keine Gummistiefel, keine Polizeimarke, kein politisches Amt und keine Baufirma. Ein gutes Antes-Buch würde reichen. Zum Beispiel das von Michael Sontheimer und Jochen Vorfelder. Leider ist es heute nur noch schwer zu bekommen. Deshalb haben wir die Internet-Suchmaschine Google angeworfen, die Begriffe Antes und Sontheimer hineingesteckt - und schon waren wir beim Antiquariat Thomas Blöcker.

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