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Sergey Malov, 30, stammt aus St. Petersburg und lebt seit fünf Jahren in Berlin hier.

© Julia Wesely

Kultur: Was macht das Cello auf der Schulter?

Der Vielsaitige: Sergey Malov spielt Violine und Bratsche. Und ein etwas anderes Cello. Ein Treffen vor dem Konzert am Freitag.

Doch, er habe sich ernsthaft vorstellen können, Profifußballer zu werden, erzählt uns Sergey Malov. Aber mit zehn Jahren anzufangen, so musste der schlaksige Russe lernen, ist auch für einen sportlich sehr begabten Menschen schon ein bisschen spät. Zum Glück hatte der Musikersohn aus St. Petersburg noch eine mindestens ebenso attraktive Option, die virtuose Vielseitigkeit auszuleben, die er an seinem Idol Lionel Messi so bewundert: nämlich auf der Geige. Und nicht nur auf ihr. Denn während andere Virtuosen ihr Leben auf vier Saiten verbringen, sind es bei Sergey Malov sage und schreibe 13.

Geplant war das alles nicht: Dass Malov sein Studium am Mozarteum Salzburg mit Bratsche statt mit Geige abschloss, hatte beispielsweise damit zu tun, dass ihn der Unterricht bei dem Bratscher Thomas Riebl besonders packte: „Die Frage war gar nicht, ob ich irgendwie umsteigen soll – ich hatte einfach eine tolle Möglichkeit, bei einem großartigen Bratschisten die Bratsche zu lernen – also machte ich es!“ Und als Sergey Malov dann vor fünf Jahren von Salzburg nach Berlin zog, tat er das eigentlich nur, um hier bei Antje Weithaas noch sein Geigenstudium abzuschließen. Doch statt auf acht Saiten steht der 30-Jährige nun plötzlich als Virtuose auf 13 Saiten im Rampenlicht: denen der Violine, denen der Bratsche – und denen eines Instruments mit dem Namen „Violoncello da Spalla“.

Letzteres war ihm zum Zeitpunkt seines Umzugs allerdings noch ebenso unbekannt wie dem Großteil des Publikums, dem er sich am heutigen Freitag im Kammermusiksaal der Philharmonie als Doppelvirtuose präsentiert. „Ein zufälliger Klick auf ein Youtube-Video, eigentlich mehr aus Spaß“ sei es gewesen, der seiner Karriere die unerwartete Wendung gab, sagt Malov schmunzelnd. Und auf den ersten Blick könnte man das, was er da sah, tatsächlich bloß für einen Scherz halten: Zu sehen war der Geiger und Geigenbauer Dmitry Badiarov, der die berühmten Cellosuiten von Johann Sebastian Bach spielte – aber nicht etwa in einer Bearbeitung für Geige, sondern auf einem kleinen fünfsaitigen Cello, das er mit einem Gurt vor die Brust gehängt hatte. Doch so ungewohnt der Anblick eines Kollegen mit einem derartigen Riesenbaby von Instrument im Arm auch war – Sergey Malov war sofort überzeugt von dem Potenzial dieses „Schultercellos“, wie das Violoncello da Spalla auf Deutsch übersetzt heißt. „Für mich“, so sagt er, „war es eine Offenbarung.“

Auch er hatte sich nämlich auf der Bratsche, die er neben der Geige weiterhin pflegte, an Bachs legendären Werken versucht. Aber mit seinen eigenen Interpretationen sei er ebensowenig zufrieden gewesen wie mit dem „zu brummigen, zu schweren“ Klang der üblichen Celli. Irgendetwas, so fand Malov, konnte nicht stimmen: „Jeder, der diese Stücke spielt, versteht sofort, dass es ganz geniale Musik ist, aber beim Zuhören wirkt sie immer mühsam.“ Ganz anders sei es mit dem Schultercello, das er sich von Badiarov fertigen ließ: „Es war das, wovon ich immer träumte“, sagt Malov. Mit seinem schlanken aber immer noch cellotypischen Klang wirke es viel stimmiger, technisch überzeugender – und wegen der leichten Bauweise und der zentrierten Haltung vor der Brust sei es entgegen allem Anschein sogar ergonomischer.

Kein Wunder: Denn höchstwahrscheinlich ist das Schultercello auch das historisch adäquate Instrument für diese Musik. Die Musikwissenschaft jedenfalls ist bereits weitgehend davon überzeugt, dass Bach die Stücke für ein Cello in Armhaltung schrieb – und dass er das Instrument neben Geige und Bratsche vermutlich auch selbst spielte. Er wäre damit ohnehin nicht der Einzige gewesen: Bis weit in die frühe Klassik war das Violoncello da Spalla nämlich weit verbreitet – so sehr, dass noch Mozarts Vater die heute übliche Beinhaltung als ungewöhnlich neumodisch empfand.

Dass der Musikbetrieb diese Erkenntnis bis vor wenigen Jahren fast vollständig verdrängen konnte, liegt wohl auch an dem prägenden Vorbild von Pablo Casals, der die Bach-Suiten zwischen 1927 und 1939 erstmals einspielte und damit ganze Generationen von Cellisten wie Hörern prägte.

Die einmalige Chance, nun auch selbst Interpretationsgeschichte mitschreiben zu können, hat Malov ergriffen: Überrascht von der Resonanz, die sein erstes, „just for fun“ eingestelltes Video im Netz hervorrief, machte er den kleinen Fünfsaiter nun auch zu einem der Hauptdarsteller seines im September erschienenen CD-Debüts „13 Strings“. Tatsächlich kann seine elegante, jugendlich belebte und erfrischend unvergrübelte Interpretation der ersten zwei Bach-Suiten schon jetzt neben der 2009 erschienenen Schultercello-Erstaufnahme des legendären Alte-Musik-Pioniers Sigiswald Kuijken bestehen. Dennoch denkt Malov nicht daran, über dem Violoncello da Spalla seine übrigen Leidenschaften zu vergessen. Die gelten neben der Geige und der Viola besonders der Musik der ungarischen Moderne – und deswegen ist Malov auf seinem Album auch mit einer brillanten Einspielung von Béla Bartóks Solosonate für Violine zu hören.

Für Malov stellt diese Musik eine Verbindung zu seinen eigenen ungarischen Wurzeln dar: „Meine Mutter kommt aus der westlichsten Ecke der Ukraine, die zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert zu fünf verschiedenen Ländern gehörte. Meine Großeltern haben Ungarisch gesprochen, und deswegen habe ich Sprache und Kultur mit der Muttermilch aufgesogen.“ Außerdem habe Bartók auch noch Überzeugungsarbeit verdient: „Seine Musik mag höchst kompliziert erscheinen, weil er ein so unglaublicher Geist war. Aber die Wurzel ist Volksmusik: Das sind ganz einfache Modi, die er benutzt, aber sie sind anders als unser Dur-Moll-System – und es ist mein größter Traum, diese Sonate so oft zu spielen, dass sie den Menschen nahekommt und dass sie sie wie die ,Vier Jahreszeiten’ als etwas Bekanntes hören!“

Grenzen, die er als willkürlich empfindet, will Malov jedenfalls in keinem Bereich akzeptieren: „Es gibt zum Glück jetzt die Europäische Union, in der man nicht mehr jedes Mal ein Visum braucht – und ich hoffe, dass ich auch in diesen vier Jahrhunderten Musikgeschichte visafrei reisen und davon profitieren kann.“

„Sergey Malov & Akamus“, Kammermusiksaal der Philharmonie, Freitag, 15. November, 20 Uhr; „13 Strings, Vol. 1“ ist erschienen bei eaSonus, EAS 29220

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