zum Hauptinhalt
Ingo Insterburg 2010 in seiner Wohnung.

© dpa

Nachruf auf Ingo Insterburg: Was sich reimt, das liebt sich

Blödeln, basteln, Bier trinken: Ein Nachruf zum Tod des Berliner Künstleroriginals Ingo Insterburg.

Sein Leben verstand er als eine Art Lied, an dem er immer weiter schrieb. Mit seinem Hit „Ich liebte ein Mädchen“, in dem er kalauernd die Wonnen und Wirren geschlechtlicher Leidenschaften besang, hat Ingo Insterburg 1974 den achten Platz der deutschen Singlecharts erobert, hinter The Sweet und Suzie Quatro, vor den Wings und Mud. Auf Plateauschuhen oder im hautengen Lederdress wie diese Kollegen konnte man sich den Mann mit der Prinz-Eisenherz-Frisur und dem catweazlehaften Vollbart nur schwer vorstellen. Er wollte auch kein Popstar sein. Insterburg war ein Troubadour des Beat-Zeitalters. Seine Gassenhauer, die er als „musikalisches Gerümpel“ bezeichnete, trug er mit hochgereckter Klampfe vor.

„Ich liebte ein Mädchen in Lichterfelde, die lebte zu lange von meinem Gelde“, so beginnt das Minnelied, danach folgen in nicht einmal drei Minuten weitere 80 zuverlässig in einen Endreim mündende Zeilen. Schneller am Mikrofon war damals höchstens Dieter Thomas Heck. Wedding reimt sich auf Petting, in Grunewald ist die Bude kalt, ratternd zählt der Sänger Orte erotischer Begegnungen auf, von Mainz und Plauen bis nach Mexiko und Indien, um dann abrupt zu enden: „Ich liebte ein Mädchen auf dem Mars, das war’s.“

Treu in der Wirklichkeit

War’s das? Nein. Insterburg machte weiter, das Stück wurde sein Endlosprojekt. Auch als der Song längst wieder aus Radiosendungen und Jukeboxes verschwunden war, fügte er ihm unermüdlich weitere Verse hinzu. Denn nicht nur das Leben, auch die Liebe geht weiter. Wobei es in Wirklichkeit weit weniger promiskuitiv zuging. „Ich bin niemals in meinem Leben einer Frau untreu gewesen“, versicherte Insterburg in seinen Memoiren. „Vorher hatte ich immer Schluss gemacht oder drauf gewartet, bis sie mich verließ. Manchmal schon nach einem Tag. Einmal sogar nach einer Stunde.“ Die Erinnerungen, 700 Seiten stark und mit Zeichnungen, Noten und Collagen versehen, kamen 2001 heraus. Bereits der Titel betonte die Vorläufigkeit des Daseins: „Die ersten 23456 Tage meines Lebens.“

Begonnen hatte dieses Leben 1934 in der ostpreußischen Stadt Insterburg, die heute russisch ist und Tschernjachows heißt. Der Sohn eines Drogistenpaares, dessen bürgerlicher Nachname Wetzker lautete, gelangte 1945 mit einem Flüchtlingstreck ins sächsische Zschopau. In Bernburg bekam er Geigenunterricht und machte das Abitur. Anschließend studierte er in West-Berlin Kunstpädagogik. Erste Meriten erwarb er sich ab 1958 als „Guitar-Ingo“, der den Bühnenexzentriker Klaus Kinski bei Brecht-Abenden begleitete.

Eingesprungen für Canetti

„Wir waren Geistesverwandte“, erzählte Insterburg später. „Er achtete, was ich konnte, mein Gitarrenspiel. Und ich achtete, was er konnte. Bei ihm habe ich diszipliniertes Üben gelernt.“ Eine Zeit lang lebten Kinski und Insterburg in einer Wohnung in der Uhlandstraße, ihre Zusammenarbeit endete, weil Kinski es versäumt hatte, für eine Plattenaufnahme die Erlaubnis der Brecht-Erben einzuholen. Insterburg kaufte sich von der Bühnengage sein erstes Auto, ein Goggomobil.

Der Tagesspiegel bemerkte sein Talent erstmals 1966, als Insterburg für Elias Canetti einsprang, der eine Lesung in der „galerie diogenes“ abgesagt hatte. „Er experimentiert auf dem Instrument, sucht ihm neue Klangfarben und neue rhythmische Strukturen zu entlocken“, lobte der Rezensent den Gitarristen. Berühmt wurde Insterburg dann allerdings nicht als Neutöner, sondern als Komiker, zusammen mit Karl Dall, Peter Ehlebracht und Jürgen Barz. In ihrer Kunst mischten sich Dadaismus und der Mut zum Dilettantismus mit dem Sponti-Geist der Studentenbewegung.

Nach der ausverkauften ersten Performance im Reichskabarett, dem von Volker Ludwig gegründeten Off-Theater an der Ludwigkirchstraße, schwärmten Zeitungen von „Ingo Insterburg und Co.“, bei dem Namen blieb es. Anfang der siebziger Jahre galten die vier Aktivisten als Speerspitzen einer Berliner Blödelbewegung, zu der auch der Klavierpoet Ulrich Roski und die Liedermacher Schobert & Black gehörten. Insterburg & Co. verletzten vorsätzlich alle Regeln des guten Geschmacks. Sie lärmten auf Maultrommel und Hackenpauke, verloren sich in sinnlosen Soli und ritten in nicht endenwollenden Ansagen die Pointen zu Tode. Sie waren eine Zumutung und wurden dafür geliebt. Der Autorenfilmer Ulrich Schamoni holte sie in seine Komödien „Quartett im Bett“ und „Chapeau Claque“. Ihre Songs hießen „Diese Scheibe ist ein Hit“ oder „Ich koch’ mir eine Kartoffelsuppe“.

Sieg über den Alkohol

Von der Mauerstadt aus eroberte das Quartett die ganze Bundesrepublik, jährlich waren 120 Auftritte zu absolvieren. „Irgendwann sind wir nur noch krank auf die Bühne gegangen. Die Jahreszeiten haben wir auf den Autobahnen erlebt“, erzählte Insterburg. Lampenfieber versuchte er mit Alkohol zu bekämpfen. „Ich trank am meisten von unserer Gruppe. Später machte ich die Erfahrung, dass man mehr als fünf Liter Bier nicht trinken kann täglich. Deshalb wich ich auf Schnaps aus.“

Dass er die Sucht besiegte, war vielleicht sein größter Erfolg. Wegen des Tourneestresses gingen Insterburg, Dall und Barz 1979 auseinander. Ehlebracht hatte schon vorher das Handtuch geworfen. „An dem Punkt hätte ein weiser Mann zu uns sagen müssen: Macht mal ein, zwei Jahre Pause. Aber verratet nicht, dass ihr euch auflöst“, sagte Insterburg 2014. Am Samstag ist er in einem Berliner Hospiz an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false